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Atropin
Strukturformel | ||||||||||||||||||||||
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(R)-Form (oben) und (S)-Form (unten) | ||||||||||||||||||||||
Allgemeines | ||||||||||||||||||||||
Name | Atropin; (±)-Hyoscyamin | |||||||||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C17H23NO3 | |||||||||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
farblose Prismen |
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Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||||||||
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Arzneistoffangaben | ||||||||||||||||||||||
ATC-Code | ||||||||||||||||||||||
Wirkstoffklasse | ||||||||||||||||||||||
Eigenschaften | ||||||||||||||||||||||
Molare Masse | 289,38 g·mol−1 | |||||||||||||||||||||
Aggregatzustand |
fest |
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Schmelzpunkt |
118 °C |
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pKS-Wert |
9,43 |
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Löslichkeit |
wenig in Wasser (2,2 g·l−1 bei 25 °C) |
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Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | ||||||||||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Atropin (abgeleitet von Atropa, dem Gattungsnamen der Tollkirsche) ist ein sehr giftiges Tropan-Alkaloid; es ist ein Racemat (1:1-Mischung) aus den Isomeren (R)- und (S)-Hyoscyamin, das sich bei der Isolierung durch Racemisierung aus dem Naturstoff (S)-Hyoscyamin bildet. Atropin steht auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte und Vorkommen
(S)-Hyoscyamin (früher auch „Mandragorin“ genannt) kommt in Nachtschattengewächsen wie Alraunen (Mandragora), Engelstrompete (Brugmansia), Stechapfel (Datura stramonium) und Tollkirschen (Atropa) vor. Seinen Namen verdankt das Alkaloid der Schwarzen Tollkirsche (Atropa belladonna).
Als Entdecker des Atropins gilt der Heidelberger Pharmazeut Philipp Lorenz Geiger (1785–1836). Die Wirkung von Atropin wurde unter anderem von Friedlieb Ferdinand Runge (1795–1867) studiert. Im Jahr 1831 stellte der deutsche Pharmazeut Heinrich F. G. Mein (1799–1864) Atropin in kristalliner Form dar. Ab 1833 produzierte dann die Darmstädter Firma Merck das Atropin aus der Wurzel der Schwarzen Tollkirsche. Die erste Synthese gelang dem Chemiker Richard Willstätter im Jahr 1901.
Chemische Struktur
Das (S)-Hyoscyamin ist ein Ester der Tropasäure mit α-Tropin und zählt somit zu den Tropan-Alkaloiden. Atropin ist die racemisierte Form des natürlich vorkommenden (S)-Hyoscyamins. Allein das 1:1-Gemisch von (R)- und (S)-Hyoscyamin wird Atropin genannt (vgl. Cahn-Ingold-Prelog-Konvention zur Benennung). Die Racemisierung findet bereits bei der Isolierung statt, wenn Laugen zum Einsatz kommen; hierbei bildet sich intermediär ein Enolat. Durch eine Aufarbeitung unter neutralen Bedingungen (pH-Wert 7) kann die Racemisierung von (S)-Hyoscyamin unterdrückt werden. Der Bedeutung der Enantiomerenreinheit von Arzneistoffen wird zunehmend Beachtung geschenkt, denn die beiden Enantiomere eines chiralen Arzneistoffes zeigen fast immer eine unterschiedliche Pharmakodynamik und Pharmakokinetik. Dies wurde früher aus Unkenntnis über stereochemische Zusammenhänge oft ignoriert. Arzneimittel enthalten den Arzneistoff Atropin als Racemat (1:1-Gemisch der Enantiomere); aus grundsätzlichen Überlegungen wäre die Verwendung des besser bzw. nebenwirkungsärmer wirksamen Enantiomers zu bevorzugen.
Ein dem Hyoscyamin strukturell nah verwandtes Alkaloid ist das Scopolamin (Hyoscin).
Wirkungen
Atropin gehört zu den Parasympatholytika (auch Anticholinergika genannt). Atropin wirkt demnach antagonistisch und konkurriert somit an den muskarinischen Rezeptoren des Parasympathikus mit dem Neurotransmitter Acetylcholin. Atropin blockiert teilweise die Rezeptoren und hemmt somit den Parasympathikus. Die Wirkung des Acetylcholins sinkt. Der Einfluss des Parasympathikus sinkt, wodurch der Einfluss des Sympathikus überwiegt.
Atropin hat folgende körperliche Wirkungen:
- Beschleunigung der Herzfrequenz (positive Chronotropie)
- Beschleunigung der Erregungsweiterleitung am Herz (positive Dromotropie)
- Weitstellung der Bronchien (Bronchodilatation)
- Weitstellung der Pupillen (= Mydriasis, vgl. Atropa belladonna, Schwarze Tollkirsche)
- stark verminderte Schweißbildung
- verminderte Speichelbildung
- Hemmung der Magen-Darm-Tätigkeit (verminderte Sekretion und Peristaltik)
- Erschlaffung der glatten Muskulatur (Spasmolyse)
- verminderte Sehfähigkeit, insbesondere in der Nähe (Hemmung der Akkommodation)
- starke Lichtempfindlichkeit (Photophobie)
- blockiert Rezeptoren der Nervenzellen (kein Erreichen der Rezeptoren durch Transmitter; Rezeptoren bleiben inaktiv)
Medizinische Verwendung
Kreislaufstillstand
Atropin wurde in der kardio-pulmonalen Reanimation bei Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität (PEA) eingesetzt, Dosen von 0,5 bis maximal 3 mg wurden intravenös verabreicht. Wegen mangelnder Evidenz ist die Gabe von Atropin bei einer Reanimation nach den Richtlinien des European Resuscitation Council nicht mehr empfohlen.
Einsatz bei Bradykardien
Atropin wird in der Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin bei der symptomatischen Behandlung einer zu niedrigen Herzfrequenz (Bradykardie) verwendet. Insbesondere durch den N. Vagus ausgelöste Bradykardien (z. B. Okulokardialer-Reflex, Bradykardie im Rahmen der Intubation, Bradykardien als Nebenwirkung anderer Medikamente) können mit Atropin therapiert werden. Häufig findet sich die Angabe einer Mindestdosis insbesondere bei der Therapie von Säuglingen und Kleinkindern, da es ansonsten zu paradoxen Bradykardien kommen könne. Diese Behauptung ist wissenschaftlich nicht begründet und wurde in einigen Studien sogar widerlegt und sollte nicht weiter verbreitet werden, da es aufgrund dieser Mindestdosis bereits bei Frühgeborenen zu gefährlichen Überdosierungen mit Atropin kam.
Augenheilkunde
Atropin wird in der Augenheilkunde zur diagnostischen und therapeutischen Lähmung der Fokussierung des Auges (Akkommodation) eingesetzt. Als Pupillen erweiterndes Mittel (Mydriatikum) wird Atropin aufgrund seiner langen Wirkdauer zur therapeutischen, jedoch nicht zur kurzzeitigen Erweiterung der Pupillen für eine Augenuntersuchung verwendet.
Weite Pupillen galten besonders während der Renaissance bei Frauen als schön (ital. bella donna „schöne Frau“). Das Einträufeln der (S)-Hyoscyamin enthaltenden Tollkirschen-Extrakte in die Augen bewirkte eine bis zu mehreren Tagen anhaltende Pupillenerweiterung („feuriger Blick“).
Außerdem zeigen Studien die Wirksamkeit von niedrigdosiertem Atropin zur Bremsung einer fortschreitenden Kurzsichtigkeit im Kindesalter.
Verwendung als Gegengift
Atropin hemmt die muscarinerge Wirkung des Acetylcholins durch kompetitive Inhibition der Acetylcholinrezeptoren an der postsynaptischen Membran und unterbricht die Signalübertragung in der Nervenleitung. In sehr hohen Dosen hemmt Atropin vermutlich auch einige Subtypen des nikotinischen Acetylcholinrezeptors.
Auf Grund dieses Wirkungsmechanismus wird Atropin als Gegengift (Antidot) bei Vergiftungen mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln (Insektiziden) und Nervenkampfstoffen eingesetzt, deren Giftwirkung auf einer irreversiblen Hemmung der Acetylcholinesterase beruht (z. B. organische Phosphorsäureester und Phosphonsäureester wie Parathion, Tabun oder Paraoxon). Patienten (z. B. mit Sarin kontaminierte Soldaten) werden per Autoinjektor Gaben von 2 mg Atropinsulfat bzw. 2 mg Atropinsulfat plus 220 mg Obidoximchlorid verabreicht.
Prämedikation
Atropin hemmt vor allem die M1-, M2- und M3-Rezeptoren und verursacht so eine Steigerung der Herzfrequenz (M2), eine Reduktion der Magensäureproduktion (M1) sowie eine Speichelreduktion (M3). Zusammen mit einer dezenten Bronchodilatation (M3) sind diese Wirkungen auch von Vorteil für eine Narkoseeinleitung. Ein genereller Einsatz in der Prämedikation (medikamentöse Vorbereitung) von Narkosepatienten wird jedoch heute nicht mehr empfohlen, da das Nutzen-Nebenwirkungs-Verhältnis von Atropin-Sulfat schlecht ist.
Seltene Anwendungsgebiete
Seltener findet Atropin Anwendung bei der glatten Muskulatur im Bereich des Magen-Darm-Trakts. Auch kann Atropin bei Harninkontinenz und zur Behandlung einer Reizblase gegeben werden. Selten wurde Atropin in der Frauenheilkunde bei Dysmenorrhoe (schmerzhafte Regelblutung) eingesetzt. Den gleichen Effekt erzielt man heute mit Butylscopolamin, einem chemisch weiterentwickelten Derivat des Scopolamins, das entspannend auf die verkrampfte glatte Muskulatur wirkt und aufgrund der geringeren Nebenwirkungen rezeptfrei erhältlich ist. Als Asthmamittel wird Atropin nicht mehr verwendet, stattdessen werden besser verträgliche Arzneistoffe eingesetzt. Der Atropintest kann zur kardiologischen Diagnostik und als Hilfestellung bei der Feststellung des Hirntodes verwendet werden.
Atropin vermindert die Speichel- und Schleimsekretion, daher kann es zum Verhindern einer übermäßigen Speichelproduktion als Nebenwirkung bei Einsatz von Ketamin sowie zur Reduktion der Speichel- und Schleimsekretion vor Operationen im Mund und Rachenbereich sowie bei fiberoptischen Intubationen und Bronchoskopien genutzt werden
Außerdem wird Atropin auch gegen übermäßiges Schwitzen (Hyperhidrose) eingesetzt (Off-Label-Use).
Missbrauch, Überdosierung, Vergiftung
Die Wirkungen auf Herz und Kreislauf stehen schon bei geringen Dosen im Vordergrund (z. B. zur Narkoseeinleitung). Psychische („berauschende“) Wirkungen sind erst bei hohen Dosen zu erwarten, bei denen unangenehme und gefährliche körperliche Nebenwirkungen auftreten.
Als Vergiftungssymptome wird bei hohen Dosen (siehe anticholinerges Syndrom) von Rötungen der Haut, Mydriasis, Herzrasen und Verwirrtheit wie Halluzinationen berichtet. Bei noch höheren Dosen tritt Bewusstlosigkeit ein, die von Atemlähmung gefolgt sein kann; bei einer Atemlähmung sind die Vergiftungen in der Regel tödlich. Die LD50 (oral) wird für den Menschen auf 335 bis 612 mg geschätzt. Ab 10 mg treten Delirien und Halluzinationen auf. Ab 100 mg kann beim Erwachsenen eine tödliche Atemlähmung einsetzen. Kinder sind schon bei geringeren Dosen von 2 bis 10 mg in Lebensgefahr.
Neben Vergiftungen durch freiwilligen oder unfreiwilligen Verzehr von Pflanzenteilen (zum Beispiel Tollkirsche) kommen medizinale Vergiftungen infolge Überdosierung, Verwechslung oder falscher Anwendung vor. Z. B. hat die Food and Drug Administration (FDA) im Jahre 2016 Globuli im Zusammenhang mit zehn Todesfällen in den USA von Kleinkindern untersucht, die nach der Verabreichung dieses Mittels, das Atropin enthielt, starben. Das Atropin war offenbar in zu hoher Konzentration in den Globuli enthalten. Die Behörde wies die Hersteller an, die Tabletten zurückzurufen.
Die Erste Hilfe bei Atropinvergiftung besteht in sofortiger Entleerung des Magen-Darm-Traktes (Erbrechen, Magenspülung) sowie erforderlichenfalls künstlicher Beatmung bzw. Atemspende. Die erweiterten Maßnahmen zielen auf die medikamentöse Hemmung der Acetylcholinesterase, durch Physostigmin als Antidot, wodurch der Abbau des Acetylcholins verzögert wird. Folglich erhöht sich die Konzentration im synaptischen Spalt. Am Rezeptor selbst wird somit indirekt eine parasympathische Wirkung erzielt. Das Atropin wird aus dem Bereich der Rezeptoren verdrängt und die Reizleitung ist wiederhergestellt.
Handelsnamen
- Monopräparate: Bellafit (CH), Dysurgal (D), Generika (D, A, CH)
- in ehemaligen Kombinationspräparaten: Eucard (D)
Literatur
- Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Atropin. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 115 f.
Weblinks
- Genaue Erklärung des Unterschiedes zwischen Atropin und Hyoscyamin
- PTA-Forum: Atropin: Die Frauen mit den schönen Augen. (2015).