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Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus

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Respiratory-Syncytial-Virus
Respiratory Syncytial Virus (RSV) EM PHIL 2175 lores.jpg

Das HRSV in einer TEM-Abbildung

Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria
Reich: Orthornavirae
Phylum: Negarnaviricota
Subphylum: Haploviricotina
Klasse: Monjiviricetes
Ordnung: Mononegavirales
Familie: Pneumoviridae
Gattung: Orthopneumovirus
Art: Humanes Respiratory-Syncytial-Virus
Taxonomische Merkmale
Genom: (−)ssRNA linear
Baltimore: Gruppe 5
Symmetrie: helikal
Hülle: vorhanden
Wissenschaftlicher Name
Human orthopneumovirus
Kurzbezeichnung
HRSV
Links

Das Humane Respiratorische Synzytial-Virus (hRSV, RSV oder RS-Virus; englisch human orthopneumovirus, früher human respiratory syncytial virus) ist ein umhülltes Virus, das den Atemtrakt befällt, vor allem die Schleimhäute der oberen Atemwege und das Flimmerepithel der Luftröhre und der Bronchien. Dort bewirkt es unter anderem eine Verschmelzung der betroffenen Zellen zu Synzytien, was dem Virus seinen Namen gab.

Eigenschaften

Die Erstbeschreibung des Virus erfolgte 1956 bei Schimpansen, bei denen RSV als Ursache einer Coryza erkannt wurde. Zunächst wurde es noch als Chimpanzee Coryza Agent (CCA) bezeichnet. Ein Jahr später identifizierte Robert M. Chanock das Virus in Kindern, deren Atemwege erkrankt waren. Er hatte auch erkannt, dass sich Kinder bereits früh mit RSV anstecken. Später wurde das Virus schließlich umbenannt in humanes Orthopneumovirus bzw. humanes Respiratorische Synzytial-Virus (englisch: human respiratory syncytial virus, hRSV).

RSV zählt zu den Viren mit einzelsträngiger ()-RNA aus der Familie der Pneumoviridae (früher Familie Paramyxoviridae, Unterfamilie Pneumoviridae und der Gattung Orthopneumovirus).

Die Spezies tritt in den zwei häufigsten Subtypen A und B sowie den selteneren Typen S2 und RSS-2 auf. Sie ist mit zwei tierpathogenen Arten, dem Bovinen Respiratorischen Synzytialvirus (BRSV, englisch: Bovine orthopneumovirus) und dem Murinen Pneumonievirus (MPV, englisch: Murine orthopneumovirus) eng verwandt.

Übertragung

Humane Respiratorische Synzytial-Viren werden meistens über Schmierinfektionen und Tröpfcheninfektion übertragen und verursachen Symptome im Bereich der oberen Atemwege: Schnupfen (Rhinitis, Erkältung), Husten, akute Bronchitis, Mittelohrentzündung. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis acht Tage.

Diagnostik

Das Virus kann mittels ELISA oder mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachgewiesen werden.

Erkrankungsformen

Säuglinge und Kleinkinder

Eine RSV-Infektion beim Säugling äußert sich mit Symptomen wie Fieber von 38 bis 39,5 °C, laufender Nase, Husten und Atembeschwerden. Durch die behinderte Atmung wird das Trinken erschwert und das Kind zeigt deshalb häufig auch Trinkschwäche.

Aufgrund der engen und kurzen Atemwege werden häufig die Bronchien und Bronchiolen in Mitleidenschaft gezogen – es kann zu einer Bronchiolitis kommen, was die Sauerstoffaufnahme behindern kann. Anzeichen für eine ungenügende Sauerstoffsättigung im Blut sind Blässe, bläuliche Färbung der Lippen oder Fingernägel (Zyanose), Einziehungen unterhalb des Rippenbogens (subcostal) und zwischen den Rippen (intercostal) und schnellere Atmung (Tachypnoe) mit Nasenflügeln. Dehydratation gilt auch als Anzeichen für einen ernsten Zustand.

Bei Kleinkindern und vor allem bei Säuglingen kommt es häufig zu schwereren Verläufen, die gerade bei Säuglingen eine stationäre Behandlung erfordern können.

Im Krankenhaus wird der Patient permanent überwacht, um bei Verschlechterung des Zustandes sofort Maßnahmen ergreifen zu können. Sauerstoffsättigung und Trinkmenge sind die wichtigsten Indikatoren. Gegebenenfalls werden auch EKG und Atemfrequenz überwacht. Bei ungenügender Sauerstoffsättigung wird Sauerstoff gegeben, in schweren Fällen mittels Beatmung. Trinkt das Kind ungenügend, kann der Einsatz einer Magensonde notwendig werden, um eine Dehydratation zu verhindern.

Während des 1. Lebensjahres haben 40–70 % und bis zum Ende des 2. Jahres nahezu alle Kinder einmal die Erkrankung durchgemacht. Dies schützt zwar nicht vor erneuter Ansteckung, aber der Krankheitsverlauf wird dadurch weniger stark als bei Erstinfektion.

Von den Erstinfektionen verlaufen ca. 2 % mit so ausgeprägten Symptomen, dass es zu einer Hospitalisation kommt. Bei den hospitalisierten Fällen liegt die Letalität bei etwa 1,7 %. In England wurde der Krankheitsverlauf von 2009 Kindern verfolgt, die wegen RSV-Infektion hospitalisiert wurden, von diesen verstarben letztlich 35. Als Risikofaktoren für einen besonders schweren Verlauf mit tödlichem Ausgang wurden hierbei vor allem bereits vorher bestehende Erkrankungen sowie nosokomiale Infektion mit RSV entdeckt.

Bei 5 % der erkrankten Kinder kommt es im Verlauf der Erkrankung zum Pseudokrupp.

Eine Infektion mit RSV gilt bei Säuglingen als möglicher Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod (SIDS).

Eine überstandene Erkrankung erzeugt keine andauernde Immunität, es kann lebenslang zu Re-Infektionen kommen, die bei gesunden Menschen milde verlaufen.

Erwachsene

RSV-Infektionen kommen in allen Altersgruppen vor. Bei Erwachsenen sind Risikopatienten: Personen mit das Herz betreffenden (kardialen) oder die Lunge betreffenden (pulmonalen) Vorerkrankungen sowie alle immundefizienten und immunsupprimierten Personen. Besonders gefährdet sind Empfänger hämatopoetischer Zelltransplantate, Empfänger von Lungen- oder anderen Organtransplantaten sowie stark immunsupprimierte Patienten mit maligner hämatologischer Erkrankung. Insbesondere wenn Erwachsene engen Kontakt zu RSV-infizierten Kleinkindern haben, kann es zu einer „ausgeprägten grippeähnlichen Symptomatik (Müdigkeit, Schnupfen, nichtproduktiver Husten, eventuell Bronchitis, mit oder ohne Fieber)“ kommen. Bei Erwachsenen werden viele Infektionen mit dem RS-Virus nicht diagnostiziert, weil die Infizierten gar keine gesundheitlichen Einschränkungen haben oder ihre Infektion wie eine harmlose Erkältung abläuft.

Komplikationen

Exazerbation bei chronischen Vorerkrankungen

Zu einer deutlichen Verschlechterung kann es bei Patienten aller Altersgruppen mit chronischen pulmonalen oder kardialen Vorerkrankungen kommen. Zu ebensolchen Verschlechterungen kann es mit Asthma und mit schweren das Nervensystem betreffenden (neurologischen) Erkrankungen kommen. Der Fachbegriff für solche Verschlechterungen bei chronischen Vorerkrankungen ist Exazerbation. Solche Patienten und alle immundefizienten und immunsupprimierten Personen haben ein besonderes Risiko, an einer schweren RSV-bedingten Lungenentzündung (Pneumonie) zu erkranken.

Bakterielle Superinfektion

Die Infektion kann einen akuten Verlauf haben, besonders wenn eine bakterielle Superinfektion auftritt. In solchen schweren Fällen kann intensivmedizinische Überwachung notwendig sein.

Überlappung mit Influenzawellen

RSV-Infektionen können mit Influenzawellen überlappen. Berechnungen aus den USA legen deutlich mehr Todesfälle durch Influenza nahe, die Übersterblichkeit durch Influenza liege dreimal so hoch wie die durch RSV.

Weltweite Sterblichkeit

Weltweit sterben jährlich schätzungsweise 600.000 Menschen direkt oder indirekt durch RSV-Infektionen.

Vorbeugung

Aktive Immunisierung

Als erster Impfstoff gegen RSV wurde Arexvy (GSK) Anfang Mai 2023 in den USA für Personen ab 60 Jahren zugelassen. In Europa wird die Zulassung ebenfalls erwartet, da der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelagentur Ende April eine positive Stellungnahme abgegeben hatte. Das Vakzin ist eine gentechnisch veränderte Version des Fusionsproteins (F) von RSV in einer präfusionsstabilisierten Form, daher wird er auch als RSVPreF3 bezeichnet. Es wird vom Immunsystem als Antigen erkannt und ist für das RS-Virus für die Infektion essentiell. In natürlicher Form liegt F zunächst in einer instabilen Prä-Fusionsform vor, die sich dann in die Post-Fusionsform wandelt. Da Antikörper das Virus in seiner Prä-Fusionsform neutralisieren, muss dieses in jener Form stabilisiert werden, damit das Immunsystem ausreichend Zeit hierfür hat. Als Adjuvans fungiert AS01E. Es wurden von verschiedenen Impfreaktionen berichtet, am häufigsten über Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen und Schmerzen an der Injektionsstelle; diese Reaktionen klangen nach ca. 10 Tagen wieder ab.

Ein in den USA in den 1960er Jahren entwickelter Totimpfstoff zur intramuskulären Anwendung zeigte bei klinischen Prüfungen schwere, teilweise tödliche Nebenwirkungen, falls sich die Probanden später mit RSV infizierten („Vaccine-enhanced illness“ bzw. „Vaccine-associated enhanced disease“). Dies führte dazu, dass die Impfstoffforschung weitgehend bis etwa 2013 eingestellt wurde. Andere Impfstoffkandidaten wurden nicht weiterentwickelt, sind gescheitert oder befinden sich noch in klinischer Prüfung und sind daher noch nicht zugelassen (wie z. B. Abrysvo von Pfizer, mRNA-1345 von Moderna oder MVA-BN von Bavarian Nordic).

Passive Immunisierung

Für Säuglinge und Kinder mit hohem Risiko besteht die Möglichkeit einer passiven Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab, die aus Kostengründen nur speziellen Risikofällen vorbehalten ist. Diese Immunisierung erzeugt zudem lediglich einen Schutz für wenige Wochen und muss deshalb während der RSV-Saison (Oktober/November bis März/April) monatlich wiederholt werden.

Nirsevimab (Beyfortus, Sanofi und AstraZeneca) wurde Ende 2022 zur Prävention von RSV-Erkrankungen bei Neugeborenen und Säuglingen in ihrer ersten RSV-Saison zugelassen. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen monoklonalen Antikörper, der an das RSV-Fusions-Protein F bindet. Infolgedessen wird das F-Protein in der Präfusionskonformation blockiert, was das Eindringen freier Virionen in die Zellen sowie die Ausbreitung des zellassoziierten Virus durch Zellfusion verhindert. Der Impfstoff wird einmalig intramuskulär gegeben.

Eine Metaanalyse kommt zu den Schluss, dass beide Antikörper signifikant RSV-Infektionen, Hospitalisierungen und die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung verringern. Im Vergleich zur Kontrollgruppe mit Placebo gibt es dagegen keine signifikant vermehrt gemeldeten Nebenwirkungen.

Forschung

Es wird intensiv nach einer Impfung gegen RSV geforscht, größtenteils werden Impfstoffkandidaten unterschiedlicher Art (attenuierte Lebendimpfstoffe, Untereinheitenimpfstoffe, genbasierte Vektorimpfstoffe) in zahlreichen klinischen Prüfungen erprobt. Daneben gibt es auch Studien über monoklonale Antikörper oder Einzeldomänenantikörper zur passiven Immunisierung.

Die Infektion von Kälbern mit Bovinen Respiratorischen Synzytial-Viren (BRSV) hat einen ähnlichen Verlauf wie die Infektion von HRSV beim Kleinkind und wird aus diesem Grunde zu Modelluntersuchungen zur Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika genutzt.

Epidemiologie

RSV-Welle seit September 2021

Das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet, dass seit Spätsommer 2021 die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen wegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) bei Ein- bis Vierjährigen stark gestiegen sei – im September 2021 doppelt so viele wie in früheren Jahren. Diese Kinder seien wegen der Kitaschließungen und anderer Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie in Deutschland bisher nicht in Kontakt mit bestimmten Erregern gekommen. Die Infekte würden jetzt nachgeholt. Eine ähnliche Situation zeigte sich in Schweden.

RSV-Welle seit November 2022

Im Herbst 2022 begann eine stärker als 2021 ausgeprägte RSV-Welle. Der Kinderarzt Florian Hoffmann, Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), bezeichnete die Situation als „dramatisches epidemisches Geschehen“ auf der gesamten Nordhalbkugel.

In Deutschland geht die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen wegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) stark nach oben; nach Definition des Robert Koch-Instituts hat die RSV-Welle in der Woche um den 16. Oktober begonnen. In mehreren Bundesländern, darunter Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, gebe es schon jetzt kaum ein freies Kinderbett in Kliniken mehr, so Florian Hoffmann, Generalsekretär der DIVI. Am 1. Dezember meldete die DIVI erneut Bettenmangel in Kinderkliniken; fast jedes zweite Krankenhaus müsse täglich Notfallpatienten ablehnen. Der Grund für den Bettenmangel ist in mehr als 70 Prozent der Fälle Personalmangel.

Am 17. November 2022 meldeten Kinderspitäler in der Schweiz, überfüllt zu sein und deshalb planbare chirurgische Eingriffe verschoben zu haben und dass Kinder vorzeitig hätten entlassen werden müssen, um dort freie Kapazitäten zur Behandlung von RSV-Infektionen schaffen zu können.

Literatur

Weblinks


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