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Neighbor-Joining-Algorithmus

Neighbor-Joining-Algorithmus

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Der Neighbor-Joining-Algorithmus ist ein mathematisches Verfahren, um Datensätze zu vergleichen und hierarchisch bifurcal (zweigabelig) anzuordnen. Dieses Verfahren wurde 1987 von Saitou und Nei vorgestellt und 1988 von Studier und Keppler weiterentwickelt und vereinfacht.

Anwendung

In der Bioinformatik bezeichnet das Neighbor-Joining-Verfahren eine phänetische bottom-up Clustermethode, welche zur Erstellung von phylogenetischen Baumstrukturen verwendet wird. Hiermit soll anhand von variierenden Merkmalen in der Datenmatrix die Wahrscheinlichkeit einer Abstammungs- oder Verwandtschaftsbeziehung in einer stammbaumartigen Darstellung berechnet werden.

Normalerweise werden damit Bäume aus DNA- oder Proteinsequenzdaten oder klassisch morphologischen Datensätzen erstellt. Der Algorithmus benötigt Wissen über die Distanz zwischen zwei Paaren von Taxa (also beispielsweise Arten oder Sequenzen) in einem Baum.

Algorithmus

Drei Schritte bei der Erstellung eines phylogenetischen Baumes für fünf Taxa mit dem Neighbor-Joining-Algorithmus

Neighbor-joining basiert meist auf dem „Minimum Evolution“-Kriterium für phylogenetische Bäume: Ausgehend von einem zunächst sternförmigen „Baum“, in dem alle Taxa mit einem „Zentrum“ verbunden sind, werden paarweise die DNA- oder Proteinsequenzen mit der geringsten genetischen Distanz ausgewählt und zu einem Ast des Baumes vereinigt. Die genetischen Distanzen der Sequenzen werden neu berechnet und wieder die nächstverwandten zu einem Ast mit zwei Taxa zusammengefügt. Dies erfolgt solange, bis alle Taxa in dem Baum eingefügt wurden und die Sternstruktur des Baumes völlig aufgelöst wurde. Im Unterschied zum UPGMA berücksichtigt Neighbor-Joining, dass die Evolutionsgeschwindigkeit nicht konstant ist: Wenn ein Taxon von allen anderen Taxa weit entfernt ist, so ist dies nicht auf einen entfernten Verwandtschaftsgrad, sondern auf beschleunigte Evolution zurückzuführen.

Der Algorithmus ist iterativ und ersetzt in jedem Schritt ein Paar der Operational Taxonomic Units (OTU) durch eine neue Sequenz. Er iteriert auf den jeweils verbleibenden Sequenzen weiter, bis es für drei verbleibende OTUs nur noch eine mögliche Topologie gibt. Danach wird die Baumstruktur erstellt.

Beispiel

Folgend ist eine typische Tabelle von Distanzen zwischen Taxa angegeben, wobei die Werte rein hypothetisch, aber realistisch sind: Studier und Keppler führten einen alternativen Parameter im Algorithmus ein, der als Mij bezeichnet wird. Saitou und Nei verwendeten ursprünglich zur Bestimmung der Nachbarn die “minimal sum of branches” (Sij) also die minimale Anzahl an Verzweigungen. Das Beispiel basiert auf dem Algorithmus von Studier und Keppler, welche gegen den ursprünglichen Parameter eine Komplexitätsklasse bietet.

Mensch Maus Rose Tulpe
Mensch 0 3 14 12
Maus 3 0 13 11
Rose 14 13 0 4
Tulpe 12 11 4 0

Da die Tabelle dreiecks-symmetrisch ist, muss die untere Hälfte nicht unbedingt gespeichert werden. Die Werte in dieser Tabelle werden als benannt.

Schritt 1: Es müssen die Durchschnittlichen Distanzen von jedem Taxon zu jedem anderen berechnet werden. Dies geschieht mit folgender Formel für die Netto-Divergenz ri:

Wobei N die Anzahl der Taxa ist.

Mensch
Maus
Rose
Tulpe

Interpretation: Die Rose besitzt in unserem Beispiel die größte Netto-Divergenz, hat also im Vergleich mit den anderen Taxa eine größere Evolutionsgeschwindigkeit durchlebt.

Schritt 2: Wir berechnen eine Zwischenmatrix M.

Wie z. B. zwischen Mensch und Maus:

Mensch Maus Rose Tulpe
Mensch −25 −16 −16
Maus −25 −16 −16
Rose −16 −16 −25
Tulpe −16 −16 −25

Schritt 3: In dieser neu berechneten Distanzmatrix M wird nun der kleinste Wert, also die kleinste Distanz zwischen zwei Taxa, gesucht, und die gefundenen zwei Taxa werden zu einem neuen Teilbaum u = (i,j) zusammengefügt. In diesem Beispiel ergeben sich also die zwei Möglichkeiten Mensch und Maus, oder Rose und Tulpe zu einem Teilbaum zusammenzufügen. Wir entscheiden uns zunächst für Mensch und Maus.

Die Kantenlänge des Knotens zu der Verzweigung berechnet sich wie folgt:

Also Mensch zu MeMa ist gleich

Schritt 4: In der ursprünglichen Distanzmatrix wird der neue Eintrag u = MeMa angefügt:

Mensch Maus Rose Tulpe MeMa
Mensch 0 3 14 12 ?
Maus 3 0 13 11 ?
Rose 14 13 0 4 ?
Tulpe 12 11 4 0 ?
MeMa ? ? ? ? 0

Um die Distanzen des neuen Eintrages u = (i,j) = (1,2) = (Mensch, Maus) = MeMa zu den restlichen Taxa zu berechnen, wird folgende Formel verwendet:

Wobei die Einträge i und j zu einem neuen Eintrag u zusammengefügt wird, und die Distanz zum Eintrag k ausgerechnet wird. Die Distanz zwischen Rose und dem neuen Teilbaum ist also:

Die „alten“, zusammengefügten Einträge, werden aus den Distanzmatrixen gelöscht.

Rose Tulpe MeMa
Rose 0 4 12
Tulpe 4 0 10
MeMa 12 10 0

Danach werden wieder und berechnet, neu zusammengefügt und wieder von vorne angefangen. Dies wird solange wiederholt, bis nur noch zwei Taxa übrig bleiben, die dann schlussendlich verbunden werden.

Das Ergebnis unseres Beispiels lässt sich wie folgt darstellen:

additiver Baum Ausgabe des Phylip Programms
Mensch                  Rose
   \                     /
    \ 2               3 /
     \        9        /
      -----------------
     /                 \
    / 1               1 \
   /                     \
 Maus                   Tulpe
 +----Maus
 !
 !                                         +-------------Rose
 1-----------------------------------------2
 !                                         +----Tulpe
 !
 +--------Mensch

Einordnung

Neighbor-Joining gehört zu den expliziten Methoden. Dies bedeutet, dass bei der Berechnung der genetischen Distanzen unterschiedliche Evolutionsmodelle, also unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für Punktmutationen angenommen werden können. Die Richtigkeit dieser Stammbäume beruht auf der Annahme, dass die Veränderung der betrachteten Merkmale keine unbekannten Zwischenschritte enthält. Es wird also vereinfacht angenommen, dass „die Evolution keine Umwege geht“ (“minimum evolution”).

Der Neighbor-Joining-Algorithmus berechnet den Stammbaum schrittweise und findet deshalb nicht zwangsläufig die optimale Baum-Topologie mit der geringsten Verzweigungslänge. Dies beruht auf seinem Konstruktionsprinzip, als Greedy-Algorithmus. Im Gegensatz zu anderen Algorithmen berechnet dieser nicht alle möglichen Bäume und wählt zum Schluss die optimalen aus, sondern verwirft schon während des Verfahrens einige Rechenwege. Obwohl der Algorithmus suboptimal ist, wurde er ausführlich getestet und findet normalerweise einen Baum, der dem Optimum relativ nahekommt.

Vorteile

Der größte Vorteil dieses Verfahrens ist seine Geschwindigkeit. Man kann es auf gewaltige Datenmengen anwenden, selbst dort, wo andere Methoden der phylogenetischen Analyse wie maximum parsimony und Maximum-Likelihood nicht mehr durchführbar sind. Im Gegensatz zum UPGMA-Algorithmus (Unweighted Pair Group Method with Arithmetic mean) zur phylogenetischen Baumrekonstruktion nimmt Neighbor-Joining nicht an, dass die Entwicklung der Abstammungslinien mit derselben Rate (siehe auch Molekulare Uhr) stattfindet und erzeugt daher infolgedessen einen unbalancierten Baum.

Literatur

  • N. Saitou, M. Nei: The neighbor-joining method. A new method for reconstructing phylogenetic trees. In: Molecular Biology and Evolution. Band 4, Nr. 4, 1. Juli 1987, S. 406–425 (oxfordjournals.org).
  • J. A. Studier, K. J. Keppler: A note on the neighbor-joining algorithm of Saitou and Nei. In: Molecular Biology and Evolution. Band 5, Nr. 6, 1. November 1988, S. 729–731, PMID 3221794 (mbe.oxfordjournals.org [PDF]).
  • Volker Knoop, Kai Müller: Gene und Stammbäume. Ein Handbuch zur molekularen Phylogenetik. 1. Auflage. Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag, München / Heidelberg 2006, ISBN 3-8274-1642-6.
  • Olivier Gascuel, Mike Steel: Neighbor-Joining Revealed. In: Molecular Biology and Evolution. Band 23, Nr. 11, 1. November 2006, S. 1997–2000, doi:10.1093/molbev/msl072, PMID 16877499.

Quellen

Weblinks


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