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Stealthing
Stealthing (von engl. stealth = List, Verstohlenheit, Heimlichtuerei) ist eine Form des Missbrauchs, bei der ein Sexualpartner das Kondom heimlich und ohne Einwilligung des anderen Partners entfernt oder beschädigt und anschließend Geschlechtsverkehr ausübt. Die Praxis führt dazu, dass kein Safer Sex stattfindet und die Übertragung von Krankheiten und ggf. eine Schwangerschaft möglich werden.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte und Praxis
Stealthing wird in zahlreichen Internetforen thematisiert; laut der Journalistin Gunda Windmüller sei es ein „Trend“. In einschlägigen Foren würden männliche User behaupten, das Abstreifen des Kondoms sei ihr „gutes Recht“; wenn eine Frau mit einem Mann schliefe, müsse sie das „mit allen Konsequenzen tun“. Dagegen äußern zahlreiche Frauen die Überzeugung, diese Praxis missachte „nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern auch die sexuelle Autonomie der Opfer“. Der Sexualstrafrechtler Joachim Renzikowski widersprach der Behauptung, dass Stealthing ein Trend sei, es handle sich vielmehr um eine Straftat.
Alexandra Brodsky, Juristin an der Yale University, hat Stealthing als „schwerwiegende Verletzung der Würde und Selbstbestimmtheit“ bezeichnet und will mit einer 2017 veröffentlichten Studie zu dem Thema ein Bewusstsein für diese Art des sexuellen Missbrauchs schaffen.
Die im August/September 2010 gegen Julian Assange in Schweden erhobenen Vorwürfe drehten sich ebenfalls um Stealthing.
Strafrecht
Schweiz
Im Jahr 2017 wurde erstmals in der Schweiz ein Mann aufgrund von Stealthing wegen Vergewaltigung zu 12 Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Richter am Strafgericht Lausanne sahen es als strafrechtlich relevant an, dass die Frau „unfähig war, Widerstand zu leisten“ und dass sie „den Geschlechtsverkehr abgelehnt hätte, wenn sie bemerkt hätte, dass der Mann kein Präservativ mehr trug.“ In zweiter Instanz wurde er wegen Schändung verurteilt, bei gleichem Strafmaß.
2019 sprach das Zürcher Obergericht einen Mann frei. Zwar hält das Gericht «Stealthing» grundsätzlich für strafwürdig und bezeichnet das Vorgehen des Mannes als moralisch verwerflich, doch es bewege sich in einer Gesetzeslücke. Den Tatbestand der Schändung sah das Gericht als nicht erfüllt an. Das Urteil geht auf einen Vorfall vom Herbst 2017 zurück. Der damals 19-Jährige und die 18-jährige Frau lernten sich über eine Dating-Plattform kennen. Nach dem Date gingen die beiden in die Wohnung der Frau, wo es zu einvernehmlichem Sex kam. Die Frau bestand jedoch darauf, dass der Mann ein Kondom verwendet. Damit war der Mann zunächst einverstanden. Während des Aktes entledigte er sich jedoch des Kondoms, ohne die Frau darüber zu informieren. Der genaue Hergang ist jedoch umstritten.
Deutschland
Im Dezember 2022 urteilte der Bundesgerichtshof (BGH), dass Stealthing einen sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 1 StGB darstelle. Es begründete dies so: „Stimmt eine Person Geschlechtsverkehr ersichtlich nur unter der Voraussetzung zu, dass dabei ein Kondom genutzt werde, stehen ohne Präservativ vorgenommene sexuelle Handlungen ihrem erkennbaren Willen entgegen.“ Geschlechtsverkehr mit und ohne Benutzung eines Kondoms stellten verschiedene Handlungen dar. Sei mit Bezug auf eine sexuelle Handlung klar, dass eine Person diese ablehne, so sei ihr Einverständnis in Bezug auf andere sexuelle Handlungen unerheblich. Zudem kommt nach dem BGH „grundsätzlich die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB in Betracht“ (also der Vergewaltigung).
2020 wurde in Deutschland die erste obergerichtliche Entscheidung zu Stealthing in einem Fall getroffen, in dem der Täter bei einvernehmlichem Geschlechtsverkehr, aber entgegen der Absprache ohne Kondom in die Frau eindrang und in ihr ejakulierte. Das Berliner Kammergericht urteilte, dass es sich um einen sexuellen Übergriff nach § 177 Abs. 1 StGB handelte. Eine Verurteilung wegen Vergewaltigung scheiterte daran, dass dieser Tatbestand von den Vorinstanzen nicht angewandt worden war. Auch in der strafrechtlichen Literatur für Deutschland wird vertreten, dass Stealthing nach § 177 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 3 bzw. Absatz 6 StGB strafbar ist. Nach anderer Ansicht hat sich der Täter zwar nicht nach § 177 StGB, jedoch wegen (versuchter) Körperverletzung sowie Beleidigung strafbar gemacht. Das Amtsgericht Kiel wiederum sprach 2020 einen Angeklagten in einem Fall von Stealthing frei, in welchem es zu keiner Ejakulation kam. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hob den Freispruch jedoch auf und verwies den Fall zurück an das Amtsgericht. Ein Leitsatz zu der Entscheidung lautet: „Das ‚Stealthing‘ – also das absprachewidrige Entfernen eines Kondoms beim Geschlechtsverkehr – ist jedenfalls dann gemäß § 177 Abs. 1 StGB strafbar, wenn der in einem engen raum-zeitlichen Zusammenhang erklärte Widerwillen gegen einen Geschlechtsverkehr ohne Kondom bei vom Opfer unbemerkter vorsätzlicher Entfernung des Kondoms fortwirkt.“
Niederlande
In den Niederlanden wurde ein Mann, weil er während des Geschlechtsverkehrs mit einer Frau das Kondom entfernt hatte, zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das Gericht verurteilte wegen Missbrauchs, nicht wegen Vergewaltigung.
Kanada
In Kanada verlor Craig Hutchinson 2014 eine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof des Landes, nachdem er Löcher in seine Kondome gestochen hatte und infolgedessen seine Freundin beim ansonsten einvernehmlichem Geschlechtsverkehr schwängerte (R v. Hutchinson). Hutchinson war zu 18 Monaten Haft verurteilt worden und sein Name wurde in die kanadische National Sex Offender Registry eingetragen.
Literatur
- Alexandra Brodsky: ‚Rape-Adjacent‘: Imagining Legal Responses to Nonconsensual Condom Removal. Columbia Journal of Gender and Law 32 (2), April 2017. (Abstract)
- Felix Herzog: „Stealthing“: Wenn Männer beim Geschlechtsverkehr heimlich das Kondom entfernen. Eine Sexualstraftat? In: Stephan Barton, Ralf Eschelbach, Michael Hettinger, Eberhardt Kempf, Christoph Krehl & Franz Salditt (Hg.), Festschrift für Thomas Fischer, C. H. Beck, München 2018, S. 351–359.
Weblinks
- BGH äußert sich erstmals zum „Stealthing“ : Das Kondom heimlich wegzulassen, kann eine Vergewaltigung sein. Legal Tribune Online (LTO), 1. Februar 2023; abgerufen am 20. März 2023.