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Basisreproduktionszahl

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Die Basisreproduktionszahl (; „R Null“ gesprochen), gelegentlich auch Basisreproduktionsrate genannt, ist – wie auch die Nettoreproduktionszahl ( bzw. ) – ein Begriff aus der Infektionsepidemiologie, mit dem die Ausbreitung des Erregers einer Infektionskrankheit unter bestimmten Bedingungen in einer Population beschrieben wird.

Die Basisreproduktionszahl ist ein Maß dafür, wie wirksam sich ein Infektionserreger durch erfolgreiche Übertragungen von einem auf andere Individuen in einer Population ausbreitet, mit denen Infektionsfälle sich zu Beginn reproduzieren. Diese Reproduktionszahl ist der zu erwartende durchschnittliche Wert (Erwartungswert) für die Anzahl sekundärer Fälle, die durch einen einzelnen (primären) Fall eines (typisch) infektiösen Individuums während dessen gesamter Infektionsperiode in einer gänzlich empfänglichen Population hervorgerufen werden – also zu Beginn einer Epidemie vor Entwicklung spezifischer Immunität und bevor besondere Maßnahmen zum Infektionsschutz ergriffen wurden. Sie entspricht damit im weiteren Verlauf einer Epidemie nicht der tatsächlich – infolge Abnahme empfänglicher Individueen und als Folge eventueller Anwendungen oder Aufhebungen ausbreitungshinderlicher Maßnahmen veränderten – zu einem bestimmten Zeitpunkt auftretenden Nettoreproduktionszahl bzw. der effektiven Reproduktionszahl.

ist keine biologische Konstante für einen Erreger, da sie wesentlich auch von anderen Faktoren wie den Umweltbedingungen und dem Verhalten der infizierten Bevölkerung beeinflusst wird. Darüber hinaus werden -Werte in der Regel anhand mathematischer Modelle geschätzt, und die geschätzten Werte hängen dann vom verwendeten Modell und den Werten anderer Parameter ab. Es macht einen Unterschied, ob die Werte für die ganze Bevölkerung eines Landes erhoben werden und somit teilweise sehr grobe Durchschnittszahlen ermittelt werden oder nur ein Ausbruch in kleinerem Maßstab betrachtet wird, ob Warnhinweise erfolgt sind und von der Bevölkerung befolgt werden, Abstands- oder Quarantäneregeln in Kraft gesetzt wurden. Die Basisreproduktionszahl lässt Schlüsse auf die Dynamik eines Krankheitsausbruchs zu, ist aber isoliert betrachtet wenig aussagekräftig. Daher wird oft zusätzlich der Überdispersionsparameter hinzugezogen. Dieser kann als Maß für die Wirkung von Superspreading interpretiert werden und gibt den Grad der Überdispersion an. Beide Parameter lassen sich gemeinsam mittels statistischer Verfahren schätzen.

Verwendung der Basisreproduktionszahl

Schematische Darstellung der Anzahl von Infizierten im Modell für unterschiedliche Werte der Reproduktionszahl              R0=2              R0=1              R0=0,5 bei einer angenommenen Generationszeit von 4 Tagen und einer Anfangszahl von 1000 Infizierten

Mit Hilfe der Basisreproduktionszahl kann man abschätzen, wie die Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit zum Beginn einer Epidemie verläuft und welcher Anteil der Bevölkerung immun bzw. durch Impfung immunisiert sein muss, um eine Epidemie zu verhindern. In häufig verwendeten Infektionsmodellen kann sich die Infektion in einer Population ausbreiten, wenn ist, nicht aber, wenn ist. Im Allgemeinen gilt: Je größer der Wert von , desto schwieriger ist es, die Epidemie unter Kontrolle zu halten. Die Basisreproduktionszahl bezieht sich auf eine Population, in der alle Menschen für die Infektion empfänglich sind, also insbesondere keine Personen resistent sind. Sie wird durch Kontagiosität, die Populationsdichte und den Grad der Durchmischung der Bevölkerung bestimmt. Die Durchmischung ist ein Maß dafür, wie homogen die Interaktionen innerhalb der Bevölkerung sind; sie ist z. B. kleiner, wenn Menschen Gruppen bilden und vorzugsweise mit Menschen in ihrer eigenen Gruppe interagieren. Die Basisreproduktionszahl kann daher für denselben Erreger in verschiedenen Bevölkerungen höchst unterschiedlich ausfallen. Aus der Basisreproduktionszahl kann berechnet werden, wie hoch der immunisierte Anteil der Bevölkerung sein muss, um eine ausreichende Herdenimmunität dafür zu erreichen, dass die Krankheit langfristig in der gegebenen Population ausstirbt (siehe auch: die Mathematik der Impfungen). In einfachen Modellen wird die Herdenimmunität erreicht, wenn im Fall von ein Anteil von der Bevölkerung immunisiert ist.

Berechnung der Basisreproduktionszahl

Die Basisreproduktionszahl kann für ein einfaches Infektionsmodell weiter aufgeschlüsselt werden:

mit , der mittleren Anzahl der Kontakte eines Infizierten pro Zeitspanne, , der mittleren Dauer der Infektiosität und , der Wahrscheinlichkeit der Infektion bei Kontakt.

Für weitere mathematische Hintergründe und Modelle siehe:

Aus den Modellen können Schätzer für gewonnen werden. Betrachtet man zum Beispiel das SIR-Modell mit anfänglich exponentiellem Wachstum der Infizierten (Wachstumsexponent mit der Verdopplungszeit ), hat man die Gleichung:

wobei für den Beginn der Epidemie gesetzt werden kann, und damit den Schätzer:

Dabei ist die mittlere Zeit, in der ein Infizierter ansteckend ist.

Ein anderer Schätzer für geht von der Generationszeit aus:

was auf den Schätzer

führt, für kleine kann das durch genähert werden.

Schätzungen von , bei denen die Generationszeit keine Konstante ist, sondern einer Verteilungsfunktion gehorcht, gehen von der Euler-Lotka-Gleichung aus, die einen Zusammenhang zwischen der Basisreproduktionszahl und der Wachstumsrate liefert.

Für komplizierter Modelle ist die Berechnung von schwieriger. In verallgemeinerten SIR Modellen, in denen die Bevölkerung nicht als homogen angenommen wird (beispielsweise in altersstrukturierten Modellen), lässt sich als größter Eigenwert der „Next Generation Matrix“ berechnen.

Nettoreproduktionszahl

Die Nettoreproduktionszahl wird von der Basisreproduktionszahl abgeleitet und gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt, wenn ein gewisser Teil der Bevölkerung immun ist oder bestimmte Maßnahmen im Rahmen einer verordneten Massenquarantäne getroffen wurden, die zur Eindämmung dienen sollen. Andere Bezeichnungen für die Nettoreproduktionszahl sind die Nettoreproduktionszahl zu einer bestimmten Zeit sowie die effektive Reproduktionszahl , die an die englische Bezeichnung effective reproduction number angelehnt ist. Werden keine Kontrollmaßnahmen ergriffen, ist , wobei die Anzahl „suszeptibler“ (für Ansteckung empfänglicher) Personen ist und die Gesamtzahl der Personen einer Population; ist also die Wahrscheinlichkeit, bei einem Kontakt auf eine infizierbare Person zu treffen. Mit Kontrollmaßnahmen – etwa Hygiene- und Distanzierungsmaßnahmen zur Verringerung der Übertragungsrate pro Kontakt, einer Verringerung der Zahl und Dauer der Kontakte und/oder der Begrenzung der Interaktionen auf kleinere Gruppen – nimmt die effektive Reproduktionszahl weiter ab.

Da oft Teile der Bevölkerung immun gegen eine Krankheit sind, während deren Ausbreitung wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden, oder wenn nachträglich eine Immunität gegen die Krankheit entwickelt wird, gewinnt die Nettoreproduktionszahl im Verlauf einer Ausbreitung immer größere Bedeutung. Das Ziel von Eindämmungsmaßnahmen ist es im Regelfall, die Nettoreproduktionszahl unter 1 zu drücken. Denn erst, wenn die Nettoreproduktionszahl kleiner als 1 ist, sinkt die Zahl der Infizierten und die Erkrankung verschwindet irgendwann gänzlich.

Nettoreproduktionszahl am Beispiel der COVID-19-Pandemie in Deutschland

Für die Schätzung der Reproduktionszahlen werden unterschiedliche Schätzer verwendet. Als Beispiel sei das Vorgehen des Robert Koch-Instituts (RKI) bei der COVID-19-Pandemie in Deutschland im März und April 2020 ausgeführt. Dabei handelt es sich um gemittelte Zahlen für ganz Deutschland, bei großen regionalen Unterschieden. Ausgangspunkt sind die dem RKI aufgrund der Meldepflicht übermittelten Fälle von Neuerkrankungen pro Tag. Daraus wird unter Berücksichtigung von Diagnose-, Melde- und Übermittlungsverzug eine Korrektur erstellt (Nowcasting), die die Fallzahlen nach den Tagen des Krankheitsbeginns schätzt. Die Generationszeit wurde vom RKI auf 4 Tage geschätzt (wird eine Verteilung für die Generationszeit genommen, sind die Formeln etwas komplizierter). In einer Generationszeit ändert sich die Zahl der Neuinfektionen um den Faktor R (Reproduktionsfaktor); R wird als Quotient der Neuinfektionen in zwei aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten von jeweils 4 Tagen bestimmt. Da die Werte der letzten drei Tage noch nicht endgültig sind (Nachmeldungen, Korrekturen u. ä.), werden vom RKI laut Mitteilung im Mai 2020 diese drei letzten Tage für die R-Berechnung nicht verwendet. Einem Zeitpunkt wird daher ein R zugeordnet, das aus dem Verlauf der acht Tage ermittelt wurde, die vier bis elf Tage zurückliegen (die Tage 1 bis 3 vor dem jeweiligen Tag bleiben also außer Betracht, berechnet wird der Quotient aus der Summe der Zahlen der Tage 4 bis 7 vor dem aktuellen Tag durch die Summe der Zahlen der Tage 8 bis 11). Der aktuelle R-Wert gibt damit eine Information über die Erkrankungen (Krankheitsbeginn), die im Mittel sieben Tage zurückliegen. Das zugehörige Infektionsgeschehen liegt außerdem noch eine Inkubationszeit zurück (bei COVID-19 sind das im Mittel 5 Tage). Der vom RKI veröffentlichte R-Wert lag in Deutschland Anfang März 2020 etwas über 2, hatte sein Maximum von etwa 3,5 um den 10. März 2020 und fiel danach. Um den 20. März 2020 erreichte R einen Wert unter 1 und hielt sich danach bei etwa 0,9 (mit kurzzeitigem Anstieg über 1,0). Am 16. April 2020 wurde ein Minimum von 0,7 erreicht; der Wert stieg aber wieder auf 1,0 (27. April) bis 0,9 und fiel am 29./30. April 2020 auf 0,75; bei der Beurteilung ist das übliche Schwanken statistischer Werte zu berücksichtigen.

Beispielwerte für verschiedene Infektionskrankheiten

Beispielwerte für die Basisreproduktionszahl sind bei Pocken und Poliomyelitis 6, bei Masern 15, bei Diphtherie 7, bei Keuchhusten 14. Bei der Grippepandemie von 1918 wurde die Basisreproduktionszahl auf 2 bis 3 geschätzt. Die Basisreproduktionszahl des Wildtyps von COVID-19 wird (vor dem Inkrafttreten der Gegenmaßnahmen) vom Robert Koch-Institut mit 3,3 bis 3,8 angegeben. Der WHO-China Joint Mission Report gab die Basisreproduktionszahl für China – also als noch keine Maßnahmen wie Ausgangssperre ergriffen wurden – mit 2 bis 2,5 an. Die CDC schätzten sie im April 2020 deutlich höher ein, nämlich auf 5,7 (95 %-KI 3,8–8,9). (siehe auch Basisreproduktionszahl von COVID-19).

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Basisreproduktionszahlen einiger Infektionskrankheiten und Pandemien. Die Werte variieren dabei zum Teil erheblich, Gründe dafür sind einerseits die betrachtete Bevölkerung, z. B. mit ihrer individuellen Impfungsgeschichte oder ihren Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit wie Ausgangssperren oder räumliche Distanzierung, andererseits Unsicherheiten im historischen Rückblick.

Werte von R0 einiger Infektionskrankheiten
Krankheit Infektionsweg R0
Masern Tröpfchen/Aerosole 12–18
Windpocken Tröpfchen/Aerosole 10–12
COVID-19, Variante BA.1 Tröpfchen/Aerosole 9,5
COVID-19, Variante Delta Tröpfchen/Aerosole fast 7
Polio fäkal-oral 5–7
Röteln Tröpfchen/Aerosole 5–7
Mumps Tröpfchen/Aerosole 4–7
Keuchhusten Tröpfchen/Aerosole 5,5,
14
Pocken Tröpfchen/Aerosole 3,5–6
COVID-19, Ursprungsvariante Tröpfchen/Aerosole 2,9
HIV Körperflüssigkeiten 1,09–2,05
SARS Tröpfchen/Aerosole 2–5
Erkältung Tröpfchen/Aerosole 2–3
Diphtherie Speichel 1,7–4,3
Spanische Grippe
(1918)
Tröpfchen/Aerosole 1,4–2,0,
2–3
Ebola
(2014–2016)
Körperflüssigkeiten 1,5–2,5
Schweinegrippe
(H1N1)
Tröpfchen/Aerosole 1,4–1,6
Influenza Tröpfchen/Aerosole 0,9–2,1
MERS Tröpfchen/Aerosole 0,3–0,8

Siehe auch

Literatur

  • Martin Eichner, Mirjam Kretzschmar: Mathematische Modelle in der Infektionsepidemiologie, In A. Krämer, R. Reintjes (Hrsg.): Infektionsepidemiologie. Methoden, Surveillance, Mathematische Modelle, Global Public Health. Springer Verlag, Heidelberg 2003, doi:10.1007/978-3-642-55612-8_8.

Anmerkungen


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