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Manuelle Medizin
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Manuelle Medizin

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Die Manuelle Medizin ist zusammen mit der Chirotherapie (von altgriechisch χείρ cheir, deutsch ‚Hand‘) eine medizinische Schule, die zur Heilbehandlung angewendet wird, wenn Funktionsstörungen des Bewegungsapparates Beschwerden verursachen. Da Befundaufnahme und Behandlung ausschließlich mit der Hand durchgeführt werden, grenzt sich die Manuelle Medizin von der invasiven und der medikamentösen Medizin ab. Sie baut in einigen Bereichen auf den Methoden der Chiropraktik und der Osteopathie auf.

Überblick

Manuelle Medizin befasst sich grundlegend mit der Wiederherstellung der Beweglichkeit von Gelenken, die in Form und Zusammensetzung intakt sind, deren Funktion jedoch gestört ist. Funktionsstörungen wie eingeschränkte Beweglichkeit (Blockierung) der Wirbelsäule und der Gelenke, Faszien und Muskeln sind die Zielpunkte der Manuellen Medizin. Diagnostik und Therapie beruhen auf biomechanischen und neurophysiologischen Prinzipien und erfolgen unter präventiver, kurativer und rehabilitativer Zielsetzung mit der Hand.

Sowohl Ärzte als auch Physiotherapeuten können sich an von den Landesärztekammern anerkannten Einrichtungen fortbilden. Fachärzte und praktische Ärzte dürfen nach einer bestandenen Prüfung die Zusatzbezeichnung „Manuelle Medizin / Chirotherapie“ wahlweise in Form eines der beiden Begriffe oder in Kombination führen.

Chirotherapie gilt in der evidenzbasierten Medizin wie die Osteopathie häufig als eine komplementärmedizinische Behandlungsweise. Die Wirksamkeit der Chirotherapie ist nach wie vor umstritten.

Max Geiser bemerkt, Bezug nehmend auf Osteopathie und Chiropraktik, die Theorien, „mit der manipulativen Behebung von ‚Fehlstellungen‘ der Wirbelgelenke verschiedenste von diesen ‚Fehlstellungen‘ verursachte Krankheiten heilen zu können […] widersprechen allen im 20. und 21. Jahrhundert erkannten Fakten über die Anatomie, Physiologie und Pathologie des menschlichen Organismus.“

Wie die Osteopathie arbeitet die Chirotherapie ergänzend zur evidenzbasierten Medizin.

Heilpraktiker bezeichnen sich meist als Chiropraktiker (oder Chiropraktoren), eine in Deutschland geläufigere, aber nicht geschützte Bezeichnung, hinter der im Einzelfall eine fundierte Ausbildung oder auch nur wenig Wissen stehen kann.

Methodik

Grundlage der Manuellen Therapie ist die genaue Diagnose der blockierten Gelenke durch Aufsuchen sogenannter Irritationspunkte, welche über neurogene Verschaltungen die Lage des blockierten Gelenkes anzeigen. Dann hat man die Möglichkeit, blockierte Gelenke mobilisierend oder manipulativ zu behandeln.

Bei der mobilisierenden Behandlung wird die Beweglichkeit durch sanft und häufig wiederholte Dehnungsbewegungen wiederhergestellt.

Bei der manipulativen Behandlung (von lateinisch manipulus ‚Handgriff‘, ‚Kunstgriff‘) oder Manipulationsbehandlung wird eine Blockierung mit einem Impuls behandelt. Dabei setzt der Therapeut einen gezielten nervalen Reiz an sogenannten Nozizeptoren, die dadurch ein Reset erfahren und den das Gelenk blockierenden verspannten Muskel wieder entspannen. Im Falle der Wirbelbogengelenke beispielsweise spielen die segmentalen Musculi rotatores breves eine dementsprechende Rolle. Um diesen Effekt zu erreichen, ist weder eine große Kraft noch ein großer Weg erforderlich. Die manipulierende Behandlung mit sehr schnell durchgeführten und kurzen Bewegungen ist an der Wirbelsäule dem Arzt (in der Chirotherapie) und dem Heilpraktiker (in der Chiropraktik) vorbehalten. Speziell in der Orthopädischen Manuellen Therapie fortgebildete Physiotherapeuten dürfen mit diesen Techniken ebenfalls arbeiten. Manipulative Techniken an Extremitätengelenken sowie sanfte mobilisierende Wirbelsäulentechniken können auch von entsprechend ausgebildeten nichtärztlichen Personen durchgeführt werden. Sie werden dann nicht als Manuelle Medizin, sondern als Manuelle Therapie bezeichnet.

Allgemein ist der vorherige bildgebende Ausschluss von Wirbelsäulenschäden wie z. B. Knochenbrüche oder Tumoren mittels Röntgenaufnahme oder CT/MRT vor jeglicher Manipulation der Wirbelsäule unabdingbar.

Begriffsdefinitionen

Chiropraktik

Chiropraktik ist definiert als: „A system of healthcare which is based on the belief that the nervous system is the most important determinant of health and that most diseases are caused by spinal subluxations which respond to spinal manipulation.“ (deutsch: „Ein System der Gesundheitsfürsorge, welches auf dem Glauben beruht, dass das Nervensystem der wichtigste Faktor für die Gesundheit ist und dass die meisten Krankheiten durch spinale Subluxationen verursacht werden, welche auf Handgriffe an der Wirbelsäule ansprechen.“)

Die Chiropraktik dient rein der Wiederherstellung des gestörten Gelenkspiels, das durch Subluxationen der Gelenke hervorgerufen wurde. Die Wirksamkeit der Chiropraktik im Vergleich zu anderen Therapieformen ist gering. Wirbelsäulenmanipulation ist nach E. Ernst und P. H. Canter keine empfehlenswerte Behandlung.

In den USA, Australien und weiteren Ländern können Abschlüsse in Chiropraktik an spezialisierten Colleges und Zentren erworben werden. Nach bestandener Prüfung wird der Titel „Doktor der Chiropraktik“ vergeben.

In Deutschland dürfen nur Heilpraktiker und Ärzte Chiropraktik ausüben. Im Ausland qualifizierte Chiropraktoren müssen daher eine Heilpraktikererlaubnis erlangen, um in Deutschland zu praktizieren. In der Praxis haben Behörden regelmäßig dafür aber eine umfassende Kenntnisprüfung verlangt. In der jüngeren Vergangenheit haben einige Verwaltungsgerichte dies beanstandet und geurteilt, dass eine Ausbildung im Ausland anzuerkennen sei.

Osteopathie

Osteopathie wurde 1874 als eigenständiges Medizinverständnis neben der Schulmedizin begründet. Diese Lehre behauptet, mit Handgrifftechniken verschiedener Art Blockierungen von Nerven-, Blut- und Lymphsystemen zu lösen und damit auf fast alle Lebensvorgänge des Körpers Einfluss zu nehmen.

Geschichte

Europa bis 1850

Bereits in der Antike finden sich Abbildungen von manuellen Handgriffen. Aufzeichnungen aus dem Mittelalter, zum Beispiel von Hildegard von Bingen, sind ebenfalls erhalten. Seit der Neuzeit sind es vor allem Laienbehandler, welche manuelle Techniken ausüben. Oft waren es Schäfer, die sogenannten Boandlsetzer ‚Beinsetzer‘ in Tirol, die zurückgebliebene Tiere wieder einrenkten und in die Herde reintegrierten. Berichte sind spärlich, nur teilweise wurden die Griffe bei Menschen angewandt.

Während dieser Zeit gab es noch die Bonesetters in England, Algebristas in Spanien und die Renunctores in Italien.

Auch die amerikanischen Cowboys sollen durch ausgewanderte Tiroler Viehhirten von den Handgriffen erfahren haben und sie bei den Tieren ihrer Herden angewendet haben, wodurch das Wissen in die Vereinigten Staaten gelangte.

Amerika ab 1860

Etwa um 1866 wirkte der Arzt Jim Atkinson in Davenport, Iowa. Unter seinen Schülern waren die beiden Begründer der Osteopathie und Chiropraktik, die später getrennte Wege gingen. Der Chirurg Andrew Taylor Still brach mit der Schulmedizin und wandte sich – inspiriert unter anderem von der neuen Evolutionstheorie sowie indianischen Medizinmännern – einer neuen, ganzheitlichen Sichtweise der Medizin zu. Ab 1874 verkündete er die Osteopathie, 1892 wurde die School of Osteopathy gegründet. Daniel David Palmer hingegen war kein Arzt, sondern Gemischtwarenhändler. Seine Chiropraktik übte er als Laientherapeut aus. Die von ihm 1897 begründete Palmer School of Chiropractic bildete unter anderem Nicht-Mediziner zu Therapeuten aus. Beide Varianten der amerikanischen Manualtherapie gelangten im frühen 20. Jahrhundert nach Europa. Stoddard und Mennell brachten die osteopathische Schule nach England, von wo sie nach Deutschland übergriff.

Deutschland ab 1950

Der Mediziner Karl Sell diente während des Zweiten Weltkriegs in Feldlazaretten, wo er mit Erschöpfungszuständen, Schmerzzuständen und Gelenksblockierungen der Soldaten konfrontiert wurde. Aufgrund seiner Erfahrungen entwickelte er eigenständig eine Schule der Manuellen Medizin, bei der ähnlich wie bei der Chiropraktik die Wiederherstellung der gestörten Gelenkfunktion durch Manipulationen im Mittelpunkt stand. Wie Kurt Rüdiger von Roques und Werner Lempfuhl, die Internisten Albert Cramer (1913–1992) und Kurt Gutzeit sowie die Chirurgen Ludwig Zukschwerdt und Freimut Biedermann gehörte Sell zu den um 1940 bis 1960 an der Chiropraktik interessierten Medizinern. 1952/1953 wurde in Isny-Neutrauchburg eine Schule nach Karl Sell gegründet.

In Deutschland haben sich die drei verschiedenen Organisationen (FAC in Boppard, ursprünglich aufbauend auf der Osteopathie; MWE in Isny-Neutrauchburg; Sektion Manuelle Medizin der Gesellschaft für physikalische Medizin der DDR) 1966, bzw. nach der Wiedervereinigung 1990, zu einer gemeinsamen Ärztegesellschaft zusammengeschlossen, der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM). Mitgliederstärkste rein ärztliche Fachgesellschaft in Deutschland ist die Deutsche Gesellschaft für Chirotherapie und Osteopathie (DGCO). 2011 wurde erstmals in Deutschland eine Professur im Fachgebiet der Chirotherapie an Dietmar Daichendt, den Präsidenten der DGCO, verliehen.

Österreich

In Österreich existieren die Österreichische Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin in Wien gegründet von Hans Tilscher (aus der FAC hervorgegangen) und die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Manuelle Medizin nach Karl Sell in Graz. Beide Schulen bieten unabhängig voneinander Ausbildungsdiplome an und werden von der Österreichischen Ärztekammer anerkannt.

Schweiz

In der Schweiz existiert seit 1959 die SAMM, ursprünglich von Hans Caviezel gegründet, einem Schüler Karl Sells, später bestimmte die Arbeitsgruppe um Jiri Dvorak die Richtung der Schule.

Tschechische Republik

In Tschechien gilt Karel Lewit (1916–2014) als Begründer der Prager Schule für Manuelle Medizin und Rehabilitation. Seinen Ruf als internationaler Experte auf dem Gebiet der Manualmedizin verbreitete er als Autor eines Fachbuches, das in mehreren Auflagen in zahlreiche Weltsprachen übersetzt wurde. Er bildete zahlreiche Ärzte v. a. aus der ehemaligen DDR, Polen und Österreich in seiner Methode aus.

Siehe auch

Literatur

  • Alber Cramer, Jens Doering, Gottfried Gutmann (Hrsg.): Geschichte der manuellen Medizin. Berlin 1990.
  • Florian G. Mildenberger: Verschobene Wirbel – verschwommene Traditionen. Chiropraktik, Chirotherapie und Manuelle Medizin in Deutschland. Stuttgart 2015.
  • Ulrich W. Böhni, Markus Lauper, Hermann-Alexander Locher (Hrsg.): Manuelle Medizin 1: Fehlfunktion und Schmerz am Bewegungsorgan verstehen und behandeln. 3. unveränderte Auflage. Thieme, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-13-240310-9.

Weblinks



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