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Ergotismus
Klassifikation nach ICD-10 | |
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T62.2 | Toxische Wirkung: Sonstige verzehrte Pflanze(n) oder Teil(e) davon |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Ergotismus oder Mutterkornvergiftung (früher auch Antoniusfeuer und lateinisch Ignis sacer ‚heiliges Feuer‘; von lateinisch sacer ‚heilig‘, auch ‚verflucht‘, ‚abscheulich‘) ist eine von dem giftigen Pilz Claviceps purpurea (dem „Mutterkorn“) ausgehende Vergiftung (Mykotoxikose) und bezeichnet die Symptomatik dieser Vergiftung mit Mutterkornalkaloiden wie zum Beispiel Ergotamin oder Ergometrin.
Inhaltsverzeichnis
Ursachen
Im Mittelalter trat Ergotismus als Folge des Verzehrs von Getreide, insbesondere von Roggen und daraus hergestelltem Mehl auf, welches mit Mutterkorn – einer länglichen, kornähnlichen Dauerform (Sklerotium) des Mutterkornpilzes Claviceps purpurea – verunreinigt war. Die Ursache der damals unter anderem „Antoniusfeuer“ genannten Symptome des Ergotismus wurde erst im 17. Jahrhundert durch französische Ärzte gefunden. Da die Gefahr, die von Mutterkorn ausgeht, heute bekannt ist, werden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um einer Verunreinigung von Getreideprodukten entgegenzuwirken. Der Ergotismus entsteht in der heutigen Zeit daher meist durch die Einnahme von Medikamenten, die Mutterkornalkaloide und deren Derivate enthalten. Diese Medikamente finden in der Therapie der Migräne (z. B. Ergotamin), in der Geburtsmedizin (Methyl- und Ergometrin), zum Abstillen (Bromocriptin) und in der Behandlung der Parkinson-Krankheit (z. B. Bromocriptin, Pergolid, Cabergolin oder Dihydroergocryptin) Anwendung. Eine unkontrollierte Dosissteigerung kann dabei zu Ergotismus führen.
Symptomatik
Durch eine Vergiftung mit Ergotamin kommt es zu einer massiven Verengung der Blutgefäße und in der Folge zu einer Durchblutungsstörung von Herzmuskel, Nieren und Gliedmaßen. Die Gliedmaßen sind kalt und blass, der Puls ist meist kaum nachweisbar. Zudem bestehen Hautkribbeln (Parästhesie), Empfindungsstörungen (Hypästhesie) und eventuell Lähmungserscheinungen (Parese). Eine häufige Folge ist das sekundäre (induzierte) Raynaud-Syndrom oder die Steigerung in Form eines schmerzhaften Absterbens von Fingern und Zehen (Gangrän und Nekrosen bei Ergotismus gangraenosus, dem „Mutterkornbrand“, benannt auch mit Ignis sacer („Heiliges Feuer“), Antoniusfeuer, Sankt-Antonius-Rauch und ähnlichen Bezeichnungen). Zusätzlich bestehen in der Regel Allgemeinsymptome wie Erbrechen, Verwirrtheit, Wahnvorstellungen, Kopfschmerzen, Ohrensausen und Durchfall. Akute Vergiftungen können durch Atem- oder Herzstillstand zum Tod führen, chronische Vergiftungen zum Verlust der mangelhaft durchbluteten Gliedmaßen, Sekundärinfektionen und zu einer darauf folgenden Sepsis.
Diagnostik
Wichtigstes diagnostisches Kriterium ist das Erkennen der Ergotamineinnahme. Die Anamnese und dabei insbesondere die Medikamentenanamnese ist daher meistens entscheidend. Apparative Untersuchungen können bei Bedarf ergänzend hinzugezogen werden, beispielsweise die Doppler-Sonographie der Extremitätengefäße.
Therapie
Auslösende Medikamente sind als Erstmaßnahme sofort abzusetzen. Ist dies allein nicht ausreichend, können die Blutgefäße durch die Gabe von Nitraten, Calciumantagonisten und/oder Prostaglandininfusionen weitgestellt werden (Vasodilatation).
Synonyme
Der Ergotismus besitzt eine ganze Reihe zumeist regionaler Bezeichnungen, wie Antoniusfeuer, Sankt-Antonius-Rache, (St.-)Antonius-Plage,Kriebelkrankheit,Magdalenenflechte (Spanien), Muttergottesbrand (Westfalen), Mutterkornbrand, St. Antonius-Feuer, St. Johannis-Fäule (Böhmen) oder St. Martialis-Feuer. sowie Krampfsucht, Kornstaupe, ziehende Seuche und Ziehkrankheit.
Geschichte
Der erste belegte, epidemieartige Fall von Ergotismus trat im Jahr 857 bei Xanten auf. 943 sollen europaweit – vorwiegend in Frankreich und Spanien – etwa 40.000 Menschen einer Mutterkornepidemie zum Opfer gefallen sein. Man bezeichnete die Erkrankung als Antoniusfeuer (benannt nach dem heiligen Antonius, in den die Erkrankten im Gebet ihre Hoffnung auf Heilung setzten) oder auch ignis sacer „heiliges Feuer“, wobei unter diesen und ähnlichen Bezeichnungen auch andere, vor allem mit geschwürigem Gewebszerfall der Extremitäten verbundene Erkrankungen oder Symptome (Phlegmone, Erysipel,Herpes zoster) verstanden wurden.
Vor allem der Antoniter-Orden hatte es sich zur Aufgabe gemacht, am Antoniusfeuer Erkrankte zu behandeln und zu pflegen. Nach dem Seuchenjahr 1089 kamen viele Menschen in das in der Nähe von Grenoble liegende Dorf La-Motte-aux-Boix, in dessen Kirche von einem französischen Adligen die Gebeine des heiligen Antonius um 1070 aus Konstantinopel überführt worden waren, um zu dem Heiligen zu beten. Dort entstand bald darauf das Kloster Saint-Antoine-l’Abbaye, wo Kranke neben seelischem Beistand auch Arzneimittel wie „Antoniuswein“ und „Antoniusbalsam“ erwerben konnten. Ausgehend von dem mit einem Spital ausgestatteten Kloster Saint Antoine in La-Motte-aux-Boix waren über 300 Klöster (meist mit Spital) des Antoniter-Ordens im mittelalterlichen Europa entstanden. Die Antoniter unterhielten im 15. Jahrhundert in ganz Europa etwa 370 Spitäler, in denen rund 4000 Erkrankte versorgt wurden. Die Krankheit war derart gefürchtet, dass Prozessionen und Zeremonien zu ihrer Abwehr zelebriert wurden. Noch heute wird auf Sardinien alljährlich im Januar das „Focolare di Sant’ Antonio“ (Antoniusfeuer) zur Abwehr von Krankheiten und anderen Übeln gefeiert.
Trotz des bereits in der Antike bekannten Zusammenhangs von mit Pilzen oder Fäulnis befallenem Getreide und epidemisch auftretenden Krankheiten sowie deutlicher Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von mutterkornhaltigem Mehl und dem Auftreten von Ergotismus im Mittelalter wurden erst nach neuerlichen Epidemien 1716–1717 in Dresden sowie in den Jahren 1770 und 1777 in ganz Europa gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen. Nachdem um 1853 durch den Mykologen L. R. Tulasne der Entwicklungszyklus des Mutterkornpilzes Claviceps purpurea aufgeklärt und beschrieben worden war, extrahierte Charles Tanret 1875 aus Mutterkorn eine – allerdings ziemlich verunreinigte – Substanz, die er „Ergotinin“ nannte. Ebenso wie das „Ergotoxin“, das 1907 entdeckt wurde, ist es ein Gemisch verschiedener Ergotalkaloide. Erst Arthur Stoll isolierte 1918 mit Ergotamin das erste reine Mutterkornalkaloid.
Im 19. Jahrhundert gehörten Mutterkorn-Massenvergiftungen größtenteils der Vergangenheit an, und seitdem in Europa nur noch hinreichend gereinigtes Getreide verzehrt wird, stellt Mutterkorn dort im Allgemeinen keine Gefahr mehr für die Gesundheit der Menschen dar. Es gab aber vereinzelt auch noch im 20. Jahrhundert Fälle von Vergiftungen. In den Jahren 1926 und 1927 kam es in der Sowjetunion zu Massenvergiftungen; offiziell gab es über 11.000 Tote durch mutterkornhaltiges Brot. Der letzte – allerdings umstrittene – Vergiftungsvorfall, mit 200 Erkrankten und sieben Toten, soll 1951 in Pont-Saint-Esprit (Frankreich) aufgetreten sein.
Da heute zunehmend ungemahlenes Getreide konsumiert wird, das direkt vom Landwirt kommt, kann es z. B. bei ungereinigtem Roggen aus Direktverkäufen zu Vergiftungen kommen. In Deutschland konnte 1985 eine Vergiftung auf mutterkornhaltiges Müsli zurückgeführt werden. Die Untersuchungsämter der Bundesländer stellten auch bei Stichproben von 2004 bis 2011 bisweilen gesundheitsschädliche Alkaloidgehalte in Getreideprodukten fest. Stand der Technik in Mühlen in den 2010er-Jahren zur Vermeidung von Vergiftungen ist, mit Mutterkorn vermischtes Getreide durch Farbsortierer auf Kornebene vollautomatisch zu sortieren.
Literatur
- Veit Harold Bauer: Das Antonius-Feuer in Kunst und Medizin (= Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse. Jg. 1973, Supplement). Springer, Heidelberg/Berlin 1973, ISBN 3-540-06593-8.
- Henry Chaumartin: Le mal des ardents et le feu Saint-Antoine. Étude historique, médicale, hagiographique et légendaire. Avec une préface du Prof. Laignel-Lavastine. Isère, Wien 1946. Vgl. dazu Guitard Eugène-Humbert, in: Revue d'histoire de la pharmacie. Band 35, Nr. 117, 1947, S. 159–160.
- Elisabeth Clementz: Die Isenheimer Antoniter. Kontinuität vom Spätmittelalter bis in die Frühneuzeit? In: Michael Matheus (Hrsg.): Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich. Alzeyer Kolloquium 1999. Stuttgart 2005 (= Geschichtliche Landeskunde. Band 56), ISBN 3-515-08233-6, S. 161–174, hier: S. 161–163 (Das Antoniusfeuer).
- H. Mielke: Studien über den Pilz Claviceps purpurea (Fries) Tulasne unter Berücksichtigung der Anfälligkeit verschiedener Roggensorten und der Bekämpfungsmöglichkeiten des Erregers. In: Mitteilungen aus der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Berlin-Dahlem. Band 375, 2000.
- Daniel Carlo Pangerl: Antoniusfeuer. Die rätselhafte Plage. In: Medizin im Mittelalter. Zwischen Erfahrungswissen, Magie und Religion (= Spektrum der Wissenschaften. Spezial: Archäologie Geschichte Kultur. Band 2.19), 2019, S. 50–53.
- Irmtraut Sahmland: Ergotismus. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 367 f.
- Peter Schmersahl: Mutterkorn: Halluzinogen und Auslöser von Vergiftungen. Ein Streifzug durch die Medizin- und Kunstgeschichte. In: DAZ 2010, Nr. 29, S. 48, 22. Juli 2010
Weblinks
- Unterlinden-Museum in Colmar, wo der Isenheimer Altar besichtigt werden kann
- Barger, Ergotism (1931).