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Hypersexualität

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Klassifikation nach ICD-10
F52.7 Gesteigertes sexuelles Verlangen
F52.8 Sonstige sexuelle Funktionsstörung, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit
F52.9 Nicht näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörung, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit
F63.8 Störung der Impulskontrolle
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Hypersexualität ist ein in der Medizin, Psychotherapie, klinischer Psychologie und Sexualwissenschaft gebräuchlicher Begriff. Er bezeichnet sowohl ein erhöhtes sexuelles Verlangen als auch ein gesteigertes sexuell motiviertes Handeln. Hypersexualität kann unterschiedliche Ursachen (körperliche wie psychische) haben. Umgangssprachlich wird eher der Begriff Sexsucht verwendet. Ob es sich bei der Hypersexualität um eine psychische Störung handelt, ist umstritten und hängt vom individuellen Leidensdruck der Person ab.

Das Gegenteil wird unter Sexuelle Appetenzstörung beschrieben.

Einordnung nach ICD-10 und DSM

Im medizinischen Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation (dem ICD-10) kann die Hypersexualität unter verschiedenen Diagnoseschlüsseln kodiert werden. Die wichtigsten werden unter dem Kapitel F52 („Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit“) erwähnt:

  • F52.7 als „Gesteigertes sexuelles Verlangen“ bzw. als Satyriasis (Mann) oder Nymphomanie (Frau)
  • F52.8 als „Sonstige sexuelle Funktionsstörung, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit“
  • F52.9 als „Nicht näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörung, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit“
  • F63.8 als „Störung der Impulskontrolle

Im DSM-5 aus dem Jahr 2015 wurde die Hypersexualität als psychische Störung gestrichen, in den vorhergehenden Versionen DSM-IV und DSM-IV-TR war sie jeweils noch angeführt.

Begriffsentwicklung

Historisch haben sich zunächst die Begriffe Satyriasis bzw. „Donjuanismus“ des Mannes und Nymphomanie der Frau entwickelt. Das Phänomen eines süchtigen sexuellen Erlebens wurde in der Literatur verschiedentlich beschrieben. Medizinisch wurde es erstmals von den beiden französischen Psychiatern Jean Étienne Esquirol und Philippe Pinel (ca. 1830) als Störung gesehen und mit „Erotomanie“ bezeichnet. Richard von Krafft-Ebing führte es 1896 im weltweit ersten wissenschaftlichen Lehrbuch über Störungen auf, wo es „sexuelle Hyperästhesie“ genannt wird. Sexualsucht, Hyperlibido, Hypererotizismus, Sexualzwang und Sexualabhängigkeit sind einige der benutzten Begrifflichkeiten, die seither gefunden wurden, um dieses Phänomen zu benennen.

Was Alfred Charles Kinsey (1894–1956) 1953 im Kinsey-Report ironisch über die Nymphomanie sagte, gilt entsprechend abgewandelt auch für die Hypersexualität: Eine Hypersexualität kann bei einer Person festgestellt werden, die mehr Sex hat als Sie (A nymphomaniac is a woman „who has more sex than you do.“). Dennoch bleibt festzustellen: Bei der „Hypersexualität“ kann es sich – sofern die Fallstricke einer subjektiven Wertung bei deren Diagnose erkannt wurden – um eine Störung handeln, die ein befriedigendes Leben des Betroffenen aufgrund vielfältiger Ursachen eventuell verhindert – auch wenn in ähnlich erscheinenden Fällen der Lustgewinn aller Beteiligten erhöht ist.

Martin Kafka, Psychiater von der Harvard Medical School, definierte Menschen „mit scheinbar wissenschaftlicher Präzision“ als „sexabhängig“, die über einen Zeitraum von sechs Monaten wöchentlich mindestens sieben Orgasmen haben und sich täglich „ein bis zwei Stunden mit solchen Aktivitäten beschäftigen“. Er schränkt allerdings ein, als pathologisch seien nur solche Personen einzustufen, deren sexuelle Phantasien und Verhaltensweisen so viel Raum einnehmen, dass sie für sonstige, nichtsexuelle Aktivitäten und Pflichten kaum noch Zeit finden; entscheidend sei der mit dem übersteigerten sexuellen Verlangen verbundene Leidensdruck.

Der Begriff Hypersexualität wird heute von einigen Sexualwissenschaftlern abgelehnt, da eine Quantifizierung von sexuellen Motivationen oder Handlungsweisen nach deren Meinung als alleinige Grundlage für eine Normierung des Verhaltens im Bereich der Sexualität nicht ausschließlich herangezogen werden sollte. Ungeachtet dessen ist die Anzahl von sexuellen Handlungen am Tage oder innerhalb einer Woche in den meisten Fällen ein zuverlässiger Indikator für das Krankheitsbild der Hypersexualität.

Zwanghaftes Sexualverhalten ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Krankheit anerkannt. In der neuen Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) ist sie unter 6C72 aufgeführt. In einem Zusatzhandbuch sind weitere Details beschrieben. Beispielsweise könne unter anderem übermäßiger Pornokonsum oder Telefonsex dazu zählen, wenn Betroffene intensive, wiederkehrende Sexualimpulse über längere Zeiträume nicht kontrollieren können und dies ihr Familien- oder Arbeitsleben oder das Sozialverhalten beeinflusst.

Symptome und Diagnose

Hypersexualität ist eine insbesondere bei jüngeren Patienten häufig auftretende Nebenwirkung von Dopaminagonisten, einer sehr verbreiteten Medikamentengruppe zur Behandlung der Parkinson-Krankheit, in geringerem Maße auch von L-Dopa, dem Standardmedikament zur Parkinson-Therapie.

Als Folge von Veranlagung oder Verletzung haben Menschen mit dem Klüver-Bucy-Syndrom oft einen übersteigerten Sexualtrieb. Ebenso kann in gewissen Fällen eine Hypersexualitäts-Symptomatik auftreten in den Wachphasen des Kleine-Levin-Syndroms.

Als Symptome gelten übermäßige Masturbation, übermäßige Sexualkontakte (Promiskuität) bis hin zum (von manchen Therapeuten) konstatierten suchtartigen Sexualverhalten (z. B. Internetsexsucht, Cybersex). Dies alles gehe so weit, dass Familie, Beruf und sexfreie soziale Kontakte vernachlässigt werden. Im Gegensatz zu stofflichen Süchten wie z. B. Alkoholismus zeigt sich die sogenannte Sexsucht selten über körperliche Auswirkungen, sondern häufig in erster Linie über negative soziale Folgen wie beispielsweise Konflikte in der Partnerschaft, finanzielle Belastungen oder berufliche Folgen.

Zum Begriff „Sexsucht“

Der Begriff „Sexsucht“ wird häufig synonym zum Begriff Hypersexualität gebraucht. Christian Schulte-Cloos definiert diese Form der nichtstofflichen Süchte als „ein außer Kontrolle geratenes Verhalten, das einhergeht mit den klassischen Anzeichen für Sucht – Besessenheit, Machtlosigkeit und die Benutzung von Sex als Schmerzmittel“.

Vor allem in den Vereinigten Staaten wird „Sexsucht“ insbesondere von konservativen Kreisen als eigenständiges Krankheitsbild propagiert und auch dort kontrovers diskutiert. Peer Briken, Direktor des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sagte, dass es „selbst unter Therapeuten, die sich auf die Behandlung sexueller Probleme spezialisiert haben“ kaum Übereinstimmungen gebe, „wie man eine Sexsucht diagnostizieren könnte“.

Sexaholiker

Als Sexaholiker oder Sexsüchtige werden Menschen bezeichnet, die sich in einer Art oder Intensität mit Sex beschäftigen, dass sie darunter leiden. Auch ihre sozialen Kontakte und ihr Berufsleben können dadurch beeinträchtigt sein. Sex wird vom Sexaholiker dazu benutzt, um Isolation, Einsamkeit, Unsicherheit, Angst und Spannung zu verringern, um Gefühle zuzudecken, oder um sich lebendig zu fühlen. Entscheidendes Merkmal ist der fortwährende Kontrollverlust über das eigene Verhalten (auch als eine nicht-stoffliche Sucht bezeichnet). Einige mögliche Erscheinungsformen des unkontrollierbaren Verhaltens betreffen: Masturbieren, Sex-Videos und Sex-Computerspiele, Sex mit Prostituierten, Voyeurismus und Exhibitionismus.

Therapie

Es gibt bisher keine speziell auf Hypersexualität zugeschnittene, wissenschaftlich anerkannte Therapie. Es gibt aber eine spezielle Psychotherapie beziehungsweise Sexualtherapie (Aufbau-Studiengang an der Uni Eppendorf) und auch Sexualberatung (Ausbildung an der Uni Merseburg), deren Ansätze gut zur Behandlung von Hypersexualität geeignet sind. Es gibt in Deutschland nur wenige ausgebildete Sexualtherapeuten, und nicht alle haben eine Kassenzulassung. Forscher an der Justus-Liebig-Universität Gießen arbeiten über die angeschlossene Hochschulambulanz seit Jahren mit Patienten, die unter Hypersexualität leiden und entwickeln aktuell ein Therapiemanual, das speziell auf diese Erkrankung zugeschnitten ist.

Betroffene Menschen haben sich an vielen Orten auch zu Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Dazu gehören die Anonymen Sexaholiker (AS) oder Anonyme Sex- und Liebessüchtige (englisch Sex and Love Addicts Anonymous (SLAA)), die beide nach dem 12-Schritte-Programm arbeiten.

Sexsucht als Thema im Film

Eine Auswahl von Filmen die sich mit dem Thema beschäftigen:

Siehe auch

Literatur

  • P. Briken, A. Hill, W. Berner: Syndrome sexueller Sucht. In: Dominik Batthyány, Alfred Pritz (Hrsg.): Rausch ohne Drogen. Substanzungebundene Süchte. Springer, Wien/ New York 2009, ISBN 978-3-211-88569-7, S. 219–238.
  • Patrick Carnes: Wenn Sex zur Sucht wird. (Originaltitel: Don't Call It Love. übersetzt von Karin Petersen). Kösel, München 1992, ISBN 3-466-30324-9.
  • Patrick Carnes: Zerstörerische Lust. Sex als Sucht (Originaltitel: Out of the Shadows. übersetzt von Walter Ahlers). Heyne, München 1987, ISBN 3-453-00622-4.
  • Katharina Ledermann: Sexsucht: wenn Sex zur Sucht wird. Diplomarbeit. Thusis 2000, OCLC 759444558.
  • Kornelius Roth: Sexsucht: Störung im Spannungsfeld von Sex, Sucht und Trauma. In: Dominik Batthyány, Alfred Pritz (Hrsg.): Rausch ohne Drogen. Substanzungebundene Süchte. Springer, Wien/ New York 2009, ISBN 978-3-211-88569-7, S. 239–256.
  • Kornelius Roth: Sexsucht. Krankheit und Trauma im Verborgenen. 2. Auflage. Links, Berlin 2007, ISBN 978-3-86153-442-6 (Erstausgabe 2004: Wenn Sex süchtig macht: einem Phänomen auf der Spur)
  • Kornelius Roth: Sexsucht. Therapie und Praxis. In: Stefan Poppelreuter, Werner Gross (Hrsg.): Nicht nur Drogen machen süchtig. Beltz, Weinheim 2000, ISBN 3-621-27484-7.
  • Bernd Schneider, Wilma Funke: Sexsucht. Theorie und Empirie. In: Stefan Poppelreuter, Werner Gross (Hrsg.): Nicht nur Drogen machen süchtig. Beltz, Weinheim 2000, ISBN 3-621-27484-7.
  • Volkmar Sigusch: Leitsymptome süchtig-perverser Entwicklungen. In: Deutsches Ärzteblatt. 99, Heft 50, 2002, S. A 3420–3423. (PDF)
  • Godela von Kirchbach: Wenn der Sex zur Sucht wird…. In: Existenzanalyse. 24, 1, 2007, S. 43–48. (Volltext online PDF; 443 kB)
  • Universimed: Internetsexsucht: Sex im World Wide Web. aufgerufen am 22. Juli 2011.

Weblinks


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