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Perücke
Perücken (im 17. Jahrhundert entlehnt von französisch perruque „Haarschopf“), ursprünglich aus echtem Menschenhaar hergestellt, imitieren eine natürliche Haarpracht, traditionelle oder modische Haartrachten. Sie werden je nach den traditionellen Sitten oder Riten getragen, aber auch bei Haarlosigkeit nach der Mode speziell für ihre Träger angefertigt.
Sie dienen als Zweitfrisur, die die eigentlichen Naturhaare ersetzen oder ergänzen sollen. Im Theater und in der Filmbranche dienen Perücken, meistens Echthaarperücken, zur Kostümierung.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Perücken wurden schon im alten Ägypten von Männern und Frauen gleichermaßen getragen. Auch im alten Griechenland sowie im Römischen Reich trugen Frauen Perücken oder umfangreiche Haarteile.
Im frühen Barock kam die Perücke wieder in Mode. Sie diente vor allem dazu, den krankheitsbedingten Haarausfall bei der Syphilis, Alopecia syphilitica und die Folgen der Behandlung mit Quecksilber zu kaschieren. Auch wirkt die Perücke wärmend, was in den schwierig zu heizenden Schlössern im Barock einen weiteren Vorteil darstellte. 1656 entstand die erste Innung für Perückenmacher in Paris. Als Ludwig XIV. wegen seines schütteren Haars zur Perücke griff – vorher trugen sie nur Höflinge und Kahlköpfige –, wurde die Allongeperücke zu einem wichtigen Standessymbol und Attribut der höfischen Kleidung von Männern in Europa.
Nach 1700 kamen die (mit Mehl) weiß gepuderten Perücken mit meist waagerecht angeordneten Locken auf. Hergestellt wurden sie vorwiegend aus Ross- oder Ziegenhaar sowie Hanf und Flachs. In Preußen wurde von 1698 bis 1717 eine Perückensteuer erhoben. Soldaten und Reisende trugen kürzere Modelle, sogenannte Stutzperücken, Bauern und Handwerker gar keine. Das Pudern der Perücken war den unteren Schichten generell verboten und mit einer Steuer belegt.
Schon vor der Französischen Revolution kam das Ende der Perückenmode. Seither werden Perücken und Toupets von Männern nur noch als Bestandteil von Amtstrachten in der Rechtspflege oder aus medizinischen Gründen getragen. Für die kunstvollen Frauenfrisuren im Biedermeier wurden häufig nur noch Haarteile benutzt.
Bis auf kurze Modeerscheinungen in Teilen der Gesellschaft (z. B. 1960er Jahre) sind Perücken nie wieder modern geworden.
Das jüdische Gesetz verlangt, dass verheiratete, geschiedene oder verwitwete Frauen ihr Haar verbergen. Daher tragen vor allem ultraorthodoxe jüdische Frauen der Aschkenasim aus modischen Gründen statt einer anderen Kopfbedeckung auch eine Perücke, im Jiddischen Scheitel genannt (auch Schaitel; שייטל YIVO sheytl m.sg., שייטלעך YIVO sheytlekh m.pl. oder שייטלען YIVO sheytlen m.pl.). Sephardim dürfen dies nicht. Der sephardische Großrabbiner Ovadja Josef hat dies verboten, weil sie wie Echthaar aussehen und den Mann nach wie vor auf unsittliche Gedanken bringen können.
Der polnische Anthropologe Bronislaw Malinowski beschreibt in seinem Buch Das Geschlechtsleben der Wilden (1929) den Gebrauch von Perücken auf den Trobriand-Inseln:
Kahlheit kommt ziemlich häufig vor; sie gilt als Schönheitsfehler, und in dem Wort tokulubakana (kahler Mann, wörtlich Abstoßende Momente: Häßlichkeit, Alter und Krankheit „Mann-Hinterkopf-leere-Stelle“) ist ein gewisses Maß von Kritik enthalten. Den Trobriander trifft jedoch ein solcher Schlag nicht so hart wie seinen europäischen Zeitgenossen, denn auf jener glücklichen Insel werden noch Perücken getragen […]. Entweder wird ein schmales Band aus Haar direkt über der Stirn wie eine Art Haarkranz festgebunden, oder die Perücke bedeckt den ganzen Kopf. Um eine solche Perücke herzustellen, näht man Haarbüschel auf eine enganliegende Kappe aus geflochtenen Fasern oder Bindfäden.
Herstellung
Perücken lassen sich aus künstlichen oder echten Haaren herstellen. Echte Haare stammten oft von Menschen aus ärmeren Ländern und Gegenden, die sich mit dem Verkauf der eigenen Haare etwas Geld verdienten. Heute stammen die meisten Menschenhaare aus Indien und China. Grundsätzlich gilt, dass sich indisches Haar aufgrund der genetisch angelegten Struktur besonders gut für Perücken mit „europäischen“ Frisuren eignet. Jedoch wird häufig auch chinesisches Haar beigemischt, da es sich leichter zu helleren Farbnuancen (Blond-Tönen) verarbeiten lässt. Chinesisches Haar gleicht strukturell dem afrikanischen Haar, was sich insbesondere durch die Haardicke äußert. Dadurch nimmt es nach der Entfärbung leichter die neuen Farbpigmente auf.
Die Gewinnung der Echthaare erfolgt in Indien meist über traditionelle Rituale, in denen Frauen ihre Haare nach alten hinduistischen Bräuchen in Tempeln opfern. Die Tempel verkaufen dann im Rahmen großer Auktionen die Haare weiter, wobei zwei Drittel des Erlöses, staatlich überwacht, an wohltätige Einrichtungen fließt. Aufgrund der hohen Nachfrage nach dem Rohstoff „Echthaar“ gehört dieser heutzutage zu den teuersten Rohstoffen der Welt mit bis zu 600 USD pro Kilogramm.
Die Haare werden gewaschen, nach Länge sortiert, gekraust und gefärbt. Dazu wird die Faser zunächst in Osmosebädern entfärbt, um sie danach in den dadurch entstandenen Hohlräumen mit neuen Farbpigmenten zu füllen. Oft wird auch die äußere Schuppenschicht entfernt, um ein Filzen zu verhindern.
Man kann außerdem zwischen verschiedenen Haarqualitäten unterscheiden. Wichtig für die weitere Verarbeitung ist immer möglichst unbehandeltes Haar. Das ist auch einer der Gründe, warum so gut wie nie Haare aus Zentraleuropa für die Perückenverarbeitung verwendet werden, da hier durch verschiedene Shampoos, Pflegeprodukte und Färbemittel die Haarstrukturen angegriffen sind. Ein weiteres Qualitätskriterium ist die gleiche Wuchsrichtung und damit die gleiche Ausrichtung der Schuppenschicht. Daher sind abgeschnittene Zöpfe und Strähnen sehr gut zur Weiterverarbeitung zu gebrauchen – im Gegensatz zu „aufgefegtem“ Haar.
Im weiteren Verlauf werden schließlich Haarsträhnen verschiedener Farbnuancen zu einer Perücke zusammengefasst, um ein möglichst natürliches Aussehen zu erreichen. Dies alles geschieht größtenteils in Handarbeit, wodurch letztlich der Preis einer Perücke auch deren Herstellungsaufwand widerspiegelt.
Eine 60 cm lange Damenperücke wiegt ca. 150 g.
Verarbeitungsarten
Die Verarbeitungsarten beginnen mit der sogenannten Montur. Die Perücken-Montur ist der Teil, an dem die Haare befestigt werden. Durch die Art der Montur unterscheidet sich auch die Qualität der Perücke sowie der Tragekomfort.
- Tresse
- Dabei wird das Haar maschinell auf dünne Schnüre, die Tressen, genäht. Die Tressen werden auf Baumwollbändern, die die Grundform bilden befestigt. Die Tresse-Perücke passt sich gut der Kopfform an.
- Teil-Monofilament
- Bei einer Teil-Monofilament-Perücke besteht ein Teil, meistens der Oberkopf, der Montur aus Monofilament, einem hautähnlichen Gewebe. Möglich ist auch den Bereich des Scheitels oder Wirbels mit dem Gewebe zu versehen. In dieses Gewebe werden die Haare anschließend in Handarbeit eingearbeitet. Der Rest der Montur wird als Tresse ausgebildet.
- 100% Handgeknüpft
- Die Montur besteht aus einem feinen Tüll-Stoff, dem Haartüll. Die Haare werden in Handarbeit einzeln durch den Stoff gezogen und verknotet.
- Filmansatz
- Dabei besteht die Montur aus Monofilament und einem durchsichtigen Randstreifen, den sogenannten Filmstreifen. Die Haare werden in Handarbeit in den Filmstreifen eingearbeitet. Der Randstreifen sorgt für besonders viel Natürlichkeit.
Perückenköpfe
Perückenköpfe, in Österreich auch Haubenstöcke genannt, benutzte man schon im Barock und Rokoko zur Maßanfertigung der Perücke und zu deren Ablage. Haubenstöcke bestanden fast immer aus – gelegentlich bemaltem – Holz und hatten die Form eines Kopfes mit Büstenansatz. Einige aus Frankreich und Venedig stammende Exemplare sind geschmackvolle Kunstwerke von Bildhauern. Französische Perückenmacher verwendeten Haubenstöcke mit Perücken, um für ihre Produkte zu werben. Einige Perückenstative bestanden aus Porzellan, in diesem Fall waren sie kugelförmig mit Standfuß und wurden lediglich zur Ablage der Perücke verwendet.
Gegenwart
Perücken werden heute meist so hergestellt und getragen, dass sie wie gewachsen wirken. Im Alltag werden Perücken meist aus ästhetischen Gründen getragen, zum Beispiel bei Haarlosigkeit infolge einer Chemotherapie. Frauen verwenden Perücken heute auch, um in kurzer Zeit eine perfekte Frisur zu haben und/oder ihrem wenigen Eigenhaar ein größeres Volumen zu geben. Eine weitere Verwendung finden Perücken im Theater, daneben werden auch häufig bei Karnevalveranstaltungen eher ausgefallene Perücken (wie zum Beispiel Afro-Look oder Vokuhila) verwendet.
Perücken werden auch aus Kunsthaar hergestellt. Ein weit verbreitetes Material ist z. B. Kanekalon. Theaterperücken werden teilweise auf Monofilament-feinen Tüll geknüpft, der schon aus geringer Entfernung nicht mehr zu sehen ist, beim Durchblick auf die „Kopfhaut“ entsteht dabei ein sehr natürliches Aussehen.
Echthaar oder Kunsthaar ist eine Frage der Ansprüche. Während Perücken aus Echthaar oft mit dem Anspruch getragen werden, möglichst ein authentisches Tragegefühl zu haben, erfüllt eine Kunsthaar-Perücke eher das Bedürfnis nach einer pflegeleichten „Zweitfrisur“. Echthaar-Perücken zeichnen sich durch eine lange Haltbarkeit und natürliche Eigenschaften aus. Sie können gefärbt, geglättet oder gelockt und individuell geschnitten werden. Eine Perücke aus Kunsthaar gibt es in verschiedenen Güteklassen. So stehen bei günstigen Kunsthaar-Perücken die Frisuren quasi fest und können kaum verändert werden. Eine höhere Güteklasse ist z. B. das Futura-Kunsthaar, das sich mit etwas Aufwand verändern lässt und dem Echthaar am nächsten kommt. Letztlich hängen Machart und Haarqualität vom Preis ab.
Satirische Darstellungen
Perücken waren seit der Antike Gegenstand zahlreicher satirischer Darstellungen. Der römische Dichter Avianus beschreibt in seiner Fabel Der kahle Reiter (De calvo equite, 4. Jh.) einen Reiter mit Glatze, der sich das Haar zurückbindet und seine Glatze mit einer Perücke verdeckt. Als der Wind sein Haupt entblößt, wird er verspottet. Er erwidert, es wundere ihn nicht, dass nach dem eigenen auch das fremde Haar Reißaus nehme.
Calvus eques capiti solitus religare capillos
Atque alias nudo vertice ferre comas,
Ad Campum nitidis venit conspectus in armis
Et facilem frenis flectere coepit equum.
Huius ab adverso Boreae spiramina prestant
Ridiculum populo conspiciente caput.
Nam mox deiecto nituit frons nuda galero,
Discolor apposita quae fuit ante coma.
Ille sagax, tantis quod risus milibus esset,
Distulit admota calliditate iocum,
Quid mirum, referens, positos fugisse capillos,
Quem prius aequaevae deseruere comae?
Ein kahlköpfiger Reiter, der rückwärts knüpfte die Locken,
Und sich mit falschem Haar oben bedeckte das Haupt,
Trat im Marsfeld auf, mit blinkender Rüstung gewappnet,
Und das gehorsame Roß tummelt er mächtig umher.
Aber ihm wehten entgegen des Nordwinds sausende Lüfte,
Während das Volk umher schaute sein lächerlich Haupt.
Denn bald flog die Perücke davon: nackt zeigt sich die Stirne,
Die mit dem Haare zuvor anders gestaltet erschien.
Klüglich wendet er nun, da er tausendstimmiges Lachen
Hört, durch folgende List wieder den Spott von sich ab:
Wie zu verwundern war's, so sprach er, wenn Haar mir von Andern
Fortfliegt, da mir vordem eigenes selber nicht blieb?
Die Fabel wurde von Ulrich Boner im 14. Jahrhundert wiedergegeben. Der Nürnberger Prosa-Äsop, eine vor 1412 in Wien verfasste Handschrift, deutet die Geschichte als Gleichnis: Der verspottete Reiter stehe für Jesus, das Haar für die Menschengestalt, die er bei der Auffahrt in den Himmel zurücklässt.
Der englische Maler William Hogarth parodierte in seiner Gravur The Five Orders of Perriwigs as they were Worn at the Late Coronation Measured Architectonically (1761) die Säulenordnung klassischer Architektur mit einer Klassifikation verschiedener Perückentypen.
Literatur
- Luigi Amara: Die Perücke. Übersetzung aus dem Spanischen Peter Kultzen. Berlin: Berenberg, 2017, ISBN 978-3-946334-15-6
- Jochen Luckhardt (Hrsg.): Lockenpracht und Herrschermacht. Perücken als Statussymbol und modisches Accessoire. Begleitband zur Ausstellung im Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig 2006. Koehler und Amelang, Leipzig 2006, ISBN 3-7338-0344-2
- Heinrich Meyer zu Ermgassen (Hrsg.): „Wie ich in Marburg ankam...“. Lebens- und Familiengeschichte des Marburger Perückenmachers Johannes Kuntz (1760–1831) von ihm selbst verfasst. (= Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur; Bd. 75). Rathaus-Verlag, Marburg 2003, ISBN 3-923820-75-5
- Susanna Stolz: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Jonas, Marburg 1992, ISBN 3-89445-133-5 (zugl. Dissertation, Universität Marburg 1992)
Siehe auch
- Toupet
- Haarverlängerung
- Haarverdichtung
- Remi-Haar
- Comb-Over
- Perücken-Achtschilling
- Peruque Point
- Die rote Perücke