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Rückenmarkssyndrom

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Als Rückenmarkssyndrome (auch: spinale Syndrome) werden in der Neurologie verschiedene Syndrome bezeichnet, die auf Schäden des Rückenmarks (lateinisch Medulla spinalis) zurückgehen. Durch äußere Einwirkung hervorgerufene Rückenmarksverletzungen (oder Rückenmarksläsionen) führen zu spinalen Traumata. Daneben können Rückenmarkssyndrome auch nicht-traumatische Ursachen haben, insbesondere degenerative Erkrankungen, entzündliche Prozesse, Durchblutungsstörungen, Tumore oder Bandscheibenvorfälle.

Je nach Lage und Ausmaß der Läsion zeigen sich charakteristische Krankheitsbilder: Rückenmarksläsionen, die sich auf einer bestimmten Höhe in der Transversalebene ausdehnen, führen zu den Querschnittsyndromen, die weiter nach Läsionshöhe differenziert werden und jeweils vollständig oder unvollständig ausgeprägt sein können. Eine andere Gruppe von Syndromen geht auf Läsionen der spinalen Leitungsbahnen und Ganglienzellsäulen in Längsrichtung des Rückenmarks zurück. Liegt der Läsion eine Durchblutungsstörung des Rückenmarks zu Grunde, zeigen sich Rückenmarksinfarktsyndrome, die über das Versorgungsgebiet der betroffenen Arterien definiert werden. Lädierte Nervenwurzeln führen zu den Wurzelsyndromen. Wird das Rückenmark über einen längeren Zeitraum zunehmend von außen – etwa von einem wachsenden Tumor – gequetscht, kommt es zu den extramedullären Kompressionssyndromen, die von einer typischen Abfolge bestimmter Symptome gekennzeichnet sind, welche auf die topologische Anordnung der Nervenfasern innerhalb der Rückenmarkbahnen zurückgehen.

Einführung: Anatomische Grundlagen

Schema mit drei Rückenmarkssegmenten: In jedem Segment vereinen sich abgehende Nervenfasern (7) beidseitig zu Hinter- (5) und Vorderhornwurzeln (6), diese weiter zu Spinalnerven.

Das Rückenmark ist jener Teil des zentralen Nervensystems, der sich im Wirbelkanal befindet. Entlang seiner Längsachse verlaufen somatische und vegetative Nervenbahnen, die das periphere Nervensystem mit dem Gehirn verbinden; außerdem enthält es Reflexzentren zahlreicher Reflexbögen, sowohl für Eigen- als auch Fremdreflexe. Die vom Rückenmark abgehenden Nervenfasern vereinigen sich segmentweise auf jeder Seite erst zu sensiblen Hinter- und motorischen Vorderhornwurzeln, um dann gemeinsam als Spinalnerven den Wirbelkanal durch die Zwischenwirbellöcher zu verlassen. Hautflächen, die vom gleichen Spinalnerv versorgt werden, bilden sensible Dermatome, Muskeln entsprechend motorische Myotome.

Zum Nervengewebe gehören neben den Nervenzellen (Neuronen) selbst auch die Gliazellen. Letztere bilden ein stützendes Gerüst um die Nervenzellen sowie eine isolierende Myelinscheide um ihre Axone, versorgen sie als nachgeschalteter Teil der Blut-Hirn-Schranke mit Nährstoffen und beteiligen sich an der Immunabwehr. Selbst nicht elektrophysiologisch erregbar, können sie durch Ausschüttung einiger Neurotransmitter die neuronale Signalweiterleitung beeinflussen.

Klassifikation

Syndrome definieren sich zunächst über die charakteristische Gruppierung bestimmter Symptome. Möglich sind weitere Unterteilungen nach Ursachen, Ausmaß der zugrundeliegenden Verletzung und Schwere der neurologischen Ausfälle.

Klinische Klassifikation

Höhe der Läsion

Als motorisches Niveau bzw. sensibles Niveau (auch motorische bzw. sensible Höhe) wird das jeweils letzte intakte Segment bezeichnet, wobei sich linke und rechte Körperhälfte unterscheiden können. Das kopfnähste Segment mit beidseitig normalen Funktionen heißt neurologisches Niveau.

Einteilung nach morphologischer Schwere der Verletzung

Klinisch werden Rückenmarksverletzungen heute in folgende drei Schweregrade eingeteilt:

  • Die Rückenmarkserschütterung oder Commotio spinalis ist die einfachste Verletzung des Rückenmarks. Hier treten vorübergehende neurologische Reiz- oder Ausfallserscheinungen auf, die sich im Allgemeinen rasch zurückbilden, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt morphologische Veränderungen am Rückenmark nachweisbar sind. Der plötzlich eingetretene Funktionsausfall von Sensibilität, Reflexen und Motorik unterhalb bzw. distalwärts der Gewalteinwirkung ist (nach wenigen Stunden bis einigen Wochen) vollständig reversibel.
  • Bei der Rückenmarksprellung oder Contusio spinalis sind dagegen stets morphologische Veränderungen nachweisbar. Sie führt zu unmittelbaren neurologischen Ausfällen, welche manchmal auch verzögert auftreten können. Eine vollständige Heilung ist in der Regel nicht mehr möglich. Pathologisches Korrelat sind Ödeme und Schädigung von Axonen. Bei einer durch Verletzung von Blutgefäßen bedingten Blutung in der grauen Substanz um den Spinalkanal spricht man von einer Hämotomyelie.
  • Die Rückenmarkszerreißung führt immer zu dauerhaften neurologischen Ausfällen.

Frankel-Schema

Bemühungen um einheitliche Standards bei der Erforschung und Behandlung von Rückenmarksverletzungen hatte es bereits seit den 1960er Jahren gegeben. Der Neurochirurg Lorenz Sigmund Michaelis versandte im Jahr 1967 Fragebögen an 49 Kollegen in 16 Ländern, um herauszufinden, wie sie Diagnose und Prognose handhaben. Zusammen mit Hans L. Frankel,Ludwig Guttmann und weiteren Kollegen veröffentlichten sie 1969 ein erstes Klassifikationsschema, das als Frankel-Schema bekannt wurde und bisweilen heute noch Anwendung findet.

Klassifikation nach dem Frankel-Schema (aktuell gebräuchliche Version nach Wojak 2019)
Grad Benennung im Original Klinischer Befund
A Complete komplette Verletzung, weder motorische noch sensible Funktion unterhalb der Höhe der Läsion
B Sensory only keine Motorik, Sensibilität ist aber bis in die sakralen Segmente erhalten
C Motor Useless keine Gebrauchsmotorik bei vorhandener motorischer Aktivität unterhalb der Höhe der Läsion
D Motor Useful vorhandene Restmotorik erlaubt den Gebrauch der Extremität mit oder ohne Unterstützung
E Recovery normale Motorik und Sensibilität, ggf. pathologische Reflexe oder veränderter Tonus

Dieses Schema war noch eher grob gehalten, lässt sich aber unproblematisch auf Patienten mit vollständiger Lähmung (Grad A/B) anwenden. Bis zu welcher Stärke jedoch die Restmotorik noch als useful – dt. brauchbar – angesehen wird (Grad C/D), ist naturgemäß subjektiv gefärbt. Auch ob ein Patient als vollständig erholt anzusehen ist (Grad E), hängt vor allem davon ab, wie viel Sorgfalt bei der Untersuchung aufgewandt wird. Dass die Läsionshöhe bei der Klassifikation unberücksichtigt bleibt, erschwert die vergleichende Beurteilung von Behandlungserfolgen, da die Prognose auch von der Läsionshöhe abhängt.

ASIA Impairment Scale

Punkteschema zur Bewertung der Muskelkraft
Punkte Testkriterium: Der Muskel …
0 … ist ohne jede Funktion.
1 … hat noch Spuren von Funktion.
2 … kann Gelenk in der horizontalen Ebene bewegen.
3 … kann das distale Glied gegen die Schwerkraft heben.
4 … kann gegen mäßigen Widerstand anarbeiten.
5 … funktioniert normal.

Um diesen Einschränkungen zu begegnen, wurden in der Folgezeit verschiedene detaillierte Scores vorgeschlagen. Zur Bewertung der Muskelkraft war bereits seit 1946 ein sechsstufiges Punkteschema verbreitet, das auch dem Muskelfunktionstest des tschechischen Rehabilitationsmediziners Vladimír Janda zugrunde liegt. Die amerikanischen Neurochirurgen John T. Lucas und Thomas B. Ducker entwickelten 1979 mit dem Neurotrauma Motor Index einen motorischen Score anhand der Funktion von 14 Kennmuskeln. Hierbei wird neun paarig angelegten Muskeln jeweils ein ganzzahliger Punktewert von 0 bis 5 zugewiesen; fünf weitere Muskelgruppen (u. a. Zwerchfell und Analsphinkter) erhalten einen Wert von 0 (ohne Funktion) bis 2 (normal), sodass insgesamt 100 Punkte erreicht werden können.

Auf Grundlage dieser Vorarbeiten entwickelte die American Spinal Injury Association (ASIA) 1982 die ASIA Standards for the Neurological Classification of Spinal Cord Injuries, die seitdem mehrfach überarbeitet wurden. Nachdem sich die International Spinal Cord Society diese Standards 1992 zu eigen gemacht hatte, wurden sie bei der nächsten Revision 1996 in International Standards for Neurological and Functional Classification of Spinal Cord Injury umbenannt, seit 2000 nur noch International Standards for Neurological Classification of Spinal Cord Injury (ISNCSCI).

Teil der ISNCSCI ist die ASIA Impairment Scale (AIS), eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Frankel-Schemas, die für den motorischen Score auf das sechstufige Punkteschema zurückgreift und es um einen sensorischen Score erweitert. Für den motorischen Score werden jeweils fünf paarigen Kennmuskeln der oberen und unteren Extremitäten entsprechend ihrer Funktionalität je 0–5 Punkte zugewiesen. Die zuvor problematische Abgrenzung der Grade C/D beruht nun auf dem Ergebnis des motorischen Scores, wobei zur Unterscheidung der Grade B/C die Untersuchung bestimmter weiterer Muskeln empfohlen wird. Für den sensorischen Score wird den 28 Dermatomen auf jeder Seite jeweils 0–2 Punkte zugewiesen. Besonderer Bedeutung kommt dabei den – zu einem Segment zusammengefassten – Dermatomen S4/S5 zu: Der Querschnitt gilt als komplett (Grad A), wenn selbst tiefe anale Druckstimulation nicht mehr wahrgenommen wird. Die Standards definieren ferner die Körperhaltung, in der die einzelnen Kennmuskeln geprüft werden sollen, die Befundung der Analsphinkterfunktion, sowie die Stellen, an denen die Empfindungsfähigkeit getestet wird.

Klassifikation nach der ASIA Impairment Scale (vereinfacht nach Wirz/Dietz 2015)
Grad Benennung Klinischer Befund
A komplett weder motorische noch sensible Funktion auf Höhe S4/S5
B sensibel inkomplett
  • sensible, aber keine motorische Funktion auf Höhe S4/S5 und unterhalb des neurologischen Verletzungsniveaus
  • und beidseitig keine motorische Funktion über mehr als drei Segmente unterhalb des neurologischen Verletzungsniveaus
C motorisch inkomplett
  • motorische Funktion auf Höhe S4/S5
  • oder sensible und motorische Funktion in Segmenten mehr als drei Segmente unterhalb des neurologischen Verletzungsniveaus
  • Mehrheit der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Niveaus hat Kraftgrad < 3
D motorisch inkomplett wie C, aber Mehrheit der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Verletzungsniveaus hat Kraftgrad ≥ 3
E normal Restitutio ad integrum

Die AIS gilt heute international als Goldstandard bei der Untersuchung von Rückenmarksverletzungen. Darüber hinaus eignet sie sich auch zur Beurteilung und Verlaufskontrolle bei nicht-traumatischen Querschnittsyndromen.

Im Vergleich mit dem ursprünglichen Frankel-Schema ist die AIS deutlich komplexer, was eine differenziertere Klassifikation ermöglicht, sie aber auch anfälliger macht für untersucherabhängige Ergebnisdifferenzen. In der wissenschaftlichen Literatur wird daher die Bedeutung standardisierter Untersuchertrainings sowie der Mitterfassung der Variabilität bei der Datenerhebung betont. Insbesondere im Hinblick auf den minimalen klinisch relevanten Unterschied – die kleinste Änderung ihres Scores, der von Patienten als bedeutsame Verbesserung bzw. Verschlechterung ihres Zustands wahrgenommen wird – besteht noch Forschungsbedarf. Ein weiteres Problem besteht darin, dass für den AIS lediglich neurologische Funktionen geprüft werden, ohne zu berücksichtigen, welche funktionellen Einschränkungen sich daraus für den Patienten ergeben. Patienten mit dem gleichen AIS-Grad und Score können in ihrem Alltag sehr unterschiedlich beeinträchtigt sein (z. B. eine Patientin mit beidseitig gelähmten Händen ggü. einer mit einseitig gelähmtem Arm).

Scoring von Alltagsfähigkeiten, Selbständigkeit und Teilhabe

Weitere Scoring-Systeme können herangezogen werden, um quantitative Aussagen über die funktionelle Situation des Patienten – jenseits der rein neurologischen Funktionsfähigkeit – treffen zu können. Zur Beurteilung der Gehfähigkeit lässt sich etwa der aus der Geriatrie bekannte Timed up and go test einsetzen, bei dem beobachtet wird, wie lange ein Patient tatsächlich benötigt, um sich von einem Stuhl zu erheben, eine Strecke von drei Metern hin- und zurückzugehen und sich wieder hinzusetzen. Speziell für die Beurteilung der Gehfähigkeit nach Rückenmarksschädigung wurde der Walking Index for Spinal Cord Injury (WISCI) entwickelt. Hier wird auch erhoben, inwieweit der Patient auf unterstützende Personen, Hilfsmittel und Gehhilfen angewiesen ist. Manuelle Fähigkeiten werden im Graded Redefined Assessment of Strength, Sensibility and Prehension (GRASSP) geprüft, der ebenfalls speziell für rückenmarksgeschädigte Patienten entworfen wurde. Die Entwicklung eines allgemein akzeptierten Handfunktionstests ist allerdings noch nicht abgeschlossen.

Der Functional Independence Measure (FIM) ist ein seit längerem etabliertes Scoring-System, um die Selbständigkeit eines Patienten im Alltag zu beurteilen (Essen, Anziehen, Körperhygiene, Kontinenz, Transfermöglichkeiten, Fortbewegung, Kommunikation). Mit dem Spinal Cord Independence Measure (SCIM) existiert seit 1997 eine speziell an Rückenmarksschäden angepasste Variante des FIM.

Codierung im ICD

Traumatische Rückenmarksschäden werden im ICD-10 im Kapitel XIX als „Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“ aufgeführt, wobei eigene Schlüssel für Verletzungen der Nerven und des Rückenmarkes in Halshöhe (S14), in Thoraxhöhe (S24), sowie in Höhe des Abdomens, der Lumbosakralgegend und des Beckens (S34) vorgesehen sind. Diese Gliederung wurde auch im ICD-11 beibehalten, nur dass die entsprechenden Einträge sich nun im Kapitel 22 finden.Ätiologisch lassen sie sich weiter in ischämische, toxische und mechanische Rückenmarksschädigungen unterteilen.

Allgemein werden Krankheiten des Nervensystems im Kapitel VI (ICD-10) bzw. 08 (ICD-11) kodiert. Insbesondere im Falle der Lähmungssyndrome (G81–G83 im ICD-10) sind Mehrfachkodierungen mit den vorgenannten Schlüsseln möglich. Nicht-traumatische Erkrankungen des Rückenmarks werden im ICD-11 explizit unter Spinal cord disorders excluding trauma aufgeführt, im ICD-10 verteilen sie sich auf verschiedene Schlüssel im Block G00–G99.

Pathogenese

Die Entwicklung von Rückenmarkssyndromen nach akuter Verletzung vollzieht sich in zwei Schritten. Im ersten Schritt führen primäre Mechanismen der Schädigung unmittelbar zum Absterben von Nervenzellen, etwa durch Infarkt, Giftwirkung oder mechanische Krafteinwirkung. Letztere schädigt das Gewebe in der Regel sowohl durch den anfänglichen Energieeintrag als auch durch anhaltende Kompression. Im zweiten Schritt löst diese erste Verletzung pathobiochemische und pathophysiologische Prozesse aus, die im weiteren Verlauf zusätzliche Schäden bis hin zu weiterem Zelltod bewirken können.

Dass solche sekundäre Mechanismen eine bedeutende Rolle spielen, war erstmals im Jahre 1911 von Alfred Reginald Allen aufgrund von Tierversuchen vorgeschlagen worden. Er war es auch, der zuerst neben dem erhöhten Flüssigkeitsdruck im Gewebe – wenn auch noch spekulativ – biochemische Faktoren in Betracht gezogen hatte. Seitdem wurden zahlreiche Faktoren identifiziert, die für sekundäre Schädigungsmechanismen in Frage kommen. Angesichts der Unvorhersehbarkeit akuter Verletzungen und allfälliger Verzögerungen bis zum folgenden Behandlungsbeginn wird ihnen in der Forschung große Aufmerksamkeit gewidmet, weil sich hier ein therapeutisches Fenster öffnet, das gegenüber primären Mechanismen verschlossen bleibt.

Der zeitliche Ablauf nach einer akuten Rückenmarksverletzung lässt sich grob in drei Phasen unterteilen, die einander überlappen: eine akute (Sekunden nach Verletzung), eine sekundäre (Minuten bis Wochen) und eine chronische (Monate bis Jahre). Während der Schaden – von systemischen Folgen des Schockzustands abgesehen – in der akuten Phase lokal begrenzt ist, führen die einsetzenden sekundären Mechanismen in der Folgephase zu einer Ausweitung des geschädigten Bereichs.

Pathophysiologische Merkmale der drei Phasen nach akuter Rückenmarksverletzung gemäß der National Academy of Medicine
akut
(nach Sekunden)
sekundär
(nach Minuten bis Wochen)
chronisch
(nach Monaten bis Jahren)

Akute Phase

Mechanismus der Exzitotoxizität: Dauerhafte Überaktivierung von Glutamatrezeptoren führt zur drastischen Erhöhung der Ca2+-Konzentration im Cytosol und treibt die Zelle in den programmierten Zelltod.

Eine akute Rückenmarksverletzung führt zunächst zu einem kurzfristigen Anstieg des Blutdrucks, gefolgt von einem länger dauernden Blutdruckabfall. Unter Umständen kommt es zu systemischer Sauerstoffunterversorgung, insbesondere bei Lähmung der Zwerchfellmuskulatur. Eine unzureichende Versorgung des Nervengewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen löst in den ersten 2–24 Stunden nach Verletzung einen spinalen Schock aus. Hierbei handelt es sich um einen weitreichenden Funktionsverlust des Rückenmarks mit vollständiger, schlaffer Lähmung und erloschenen Eigenreflexen, der in diesem frühen Stadium weder Schlüsse auf die Ursache und Schwere der Schädigung noch eine Prognose erlaubt.

Die primären Schädigungsmechanismen führen zum Untergang von Nerven- und Endothelzellen. Bei benachbarten Nervenzellen, die die unmittelbare Verletzung überlebt haben, werden Aktionspotentiale ausgelöst, was lokal beträchtliche Konzentrationsänderungen der beteiligten Elektrolyte verursacht, die noch dadurch verschärft wird, dass durch Scherkräfte aufgerissene Zellen ihr Cytosol in den Extrazellularraum ergießen. Die dadurch bedingte Zerstörung der physiologischen Ionengradienten kann zum Absterben weiterer Nervenzellen führen. Gleiches gilt für die unkontrollierte Ausschüttung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt zwischen verknüpften Nervenzellen, welche an die elektrochemischen Prozesse in deren Zellinneren gekoppelt ist. Einblutungen und Ödembildung im engen Wirbelkanal erhöhen den Druck auf das Gewebe weiter. Krampfhafte Blutgefäßverengung und Blutgerinnsel führen zur Ischämie insbesondere in der grauen Substanz.

Sekundäre Phase

Nachdem die gestörte Elektrolythomöostase bereits in der akuten Phase eine erste Erhöhung der intrazellulären Konzentration von Calcium-Ionen bewirkt hat, kann sich dieser Prozess in der sekundären Phase fortsetzen. Insbesondere in der weißen Substanz konnte im Tierversuche gezeigt werden, wie die in geschädigten Axonen ebenfalls unphysiologisch erhöhte Konzentration von Natrium-Ionen im Cytosol durch sekundär aktiven Transport über Natrium-Calcium-Austauscher zu einer weiteren Erhöhung der Calcium-Konzentration führt. Schon länger ist bekannt, dass hohe intrazelluläre Calcium-Konzentrationen mit oxidativem Stress nach Rückenmarksverletzungen korrelieren. In jüngerer Zeit konnte als molekulare Ursache hierfür ein Calcium-abhängiger Prozess in den Mitochondrien ausgemacht werden, der als Mitochondrial Permeability Transition (MPT) bezeichnet wird. Hierbei bilden sich Poren in der inneren Mitochondrienmembran. Die Störung der oxidativen Phosphorylierung führt zur Anreicherung reaktiver Sauerstoffspezies, welche durch die Poren aus der Mitochondrienmatrix entweichen können. Diese freien Radikale schädigen durch Lipidperoxidation die Doppellipidschicht der Zellmembran. Zusammenbruch der Zellmembran führt zum einen zum Untergang der betroffenen Zelle selbst, zum anderen zur Freisetzung ihres Inhalts in den Extrazellularraum, was weitere Nachbarzellen bedroht.

Die Verletzung löst eine Immunantwort aus, an der neutrophile Granulozyten, Monozyten, Mikroglia und T-Lymphozyten beteiligt sind. Als erstes treffen Neutrophile ein und beginnen, Gewebsbruchstücke und etwaige Mikroorganismen zu beseitigen, wofür sie Enzyme – vor allem Proteasen und Myeloperoxidase – und freie Radikale einsetzen, die auch überlebende Nervenzellen schädigen können. Die von ihnen ausgeschütteten Zytokine dienen als Botenstoffe für die weitere Immunantwort. Im Laufe der nächsten 24 Stunden werden dadurch zum einen Mikrogliazellen vor Ort aktiviert und zum anderen Monozyten aus dem Blutkreislauf herbeigelockt, die nach Eintritt in das Rückenmark zu Makrophagen differenzieren. Über die folgenden Wochen phagozytieren Zellen beider Zelltypen degenerierende Nervenfasern und anderer Gewebsbruchstücke. Während diejenigen Zytokine, die als Wachstumsfaktoren wirken, wichtig für die Regeneration des Gewebes sind, führen pro-inflammatorische Zytokine und freie Radikale dazu, dass sich der Schaden weiter ausdehnt. Die Rolle der T-Lymphozyten wird noch debattiert.

War diese inflammatorische Immunantwort durch den unkontrollierten Tod aufplatzender Zellen während der akuten Phase provoziert worden, so übernimmt nach einigen Stunden der programmierte Zelltod in Form der Apoptose die Hauptrolle im Zelluntergangsgeschehen. Sie betrifft sowohl Nerven- als auch Neurogliazellen wie Oligodendrozyten und Astrozyten. Rückenmarksverletzungen führen zur verstärkten Expression von Todesrezeptoren aus der TNF/TNFR-Superfamilie und ihrer Liganden sowie zur Aktivierung von Caspasen und Calpain, welche alle zur apoptotischen Kaskade gehören. Als Auslöser diskutiert werden – neben Glutamat über den exzitotoxischen Mechanismus – die reaktive Sauerstoffspezies Wasserstoffperoxid, das GSH/GSSG-Redoxsystem (was mit der MPT und der Aktivität von Caspase-3 zusammenhängt), das Zytokin TNF-α sowie der Ligand des Fas-Rezeptors.

Chronische Phase

Schemazeichnung zu hier relevanten Zelltypen des Nervengewebes: Das Axon einer Nervenzelle (mittig) wird von einem Oligodendrozyten (links) myelinisiert. Demyelinisierung führt zum Funktionsverlust der Nervenzelle. Im Hintergrund ist ein Astrozyt (rechts). Reißt das Axon ab, überwuchern Astrozyten die Stelle und bilden Glianarben, die das Nachwachsen des Axons verhindern.

Längerfristig schädlich wirkt sich der Untergang von Oligodendrozyten aus, welche im Zentralnervensystem eine isolierende Myelinscheide um die Axone bilden und dadurch saltatorische Erregungsleitung ermöglichen. Da ein einzelner Oligodendrozyt 10–40 Axone versorgt, führt ihr Verlust zur Demyelinisierung zahlreicher – bis dahin noch funktionaler – Nerven. Zusammen mit der infolgedessen veränderten Funktion der Ionenkanäle überlebender Nervenzellen kann hier die Ursache für die Entwicklung chronischer Schmerzen liegen.

Im Laufe der Zeit nimmt der Anteil normalen Gewebes an der verletzten Stelle immer weiter ab. An seiner Stelle können sich über den Zeitraum einiger Wochen flüssigkeitsgefüllte Hohlräume bilden, die sich über mehrere Segmente ober- und unterhalb der lädierten Stelle ausdehnen und dadurch eine Lücke bilden können, über die hinweg keine Axone nachwachsen können. Auch die einsetzende Narbenbildung durch Astrozyten behindert die axonale Regeneration durch eine Vielzahl von Wachstumshemmern, die von den in der Glianarbe eingeschlossenen Zellen (Astrozyten, Oligodendrozyten incl. Vorläuferzellen, aktivierte Mikroglia sowie Neurothelzellen) ausgeschüttet werden.

Noch viele Jahre später kann eine Zyste im Rückenmark zur Syringomyelie führen.

Anmerkungen

Literatur

  • Bettina Ende-Henningsen: Spinale Syndrome. In: Peter Berlit (Hrsg.): Klinische Neurologie. Springer Reference Medizin. Springer, Berlin/Heidelberg 2020, ISBN 978-3-662-60676-6 (Ebook), S. 81–93.
  • Catharyn T. Liverman, Bruce M. Altevogt, Janet E. Joy, Richard T. Johnson (Hrsg.): Spinal Cord Injury: Progress, Promise, and Priorities. National Academy of Sciences, Washington 2005, ISBN 0-309-09585-9.
  • Thorsten Steiner, Ricarda Diem: Rückenmarksyndrome. In: Werner Hacke (Hrsg.): Neurologie. Springer, Berlin/Heidelberg 2019 (14. Auflage), ISBN 978-3-662-46892-0 (Ebook), S. 72–76.

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