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Schambeinentzündung
Klassifikation nach ICD-10 | |
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M85.3 | Ostitis condensans |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Eine Schambeinentzündung (lat. Osteitis pubis oder Ostitis pubis), auch Pubalgia genannt, ist eine schmerzhafte nicht-infektiöse Entzündung von Schambeinfuge (Symphysis pubica), Schambeinknochen (Os pubis) und in der Nähe befindlicher Strukturen wie Adduktoren, Bauchmuskulatur und Faszien.
Inhaltsverzeichnis
Inzidenz
Von einer Schambeinentzündung sind vor allem Leistungssportler von Sportarten mit Sprints, Schusselementen und schnellen Richtungswechseln, wie beispielsweise Fuß-, Hand- und Basketballspieler, Tennisspieler und Laufsportler, betroffen. Die Häufigkeit einer Schambeinentzündung liegt bei Sportlern zwischen 0,5 und 7 Prozent. Meist sind Männer von dieser Erkrankung betroffen. Ihr Durchschnittsalter liegt bei etwa 30 Jahren. Das durchschnittliche Alter von erkrankten Frauen liegt bei 35 Jahren. Die höchste Inzidenz wird bei Fußballspielern gefunden. Von 811 im Jahr 1995 untersuchten Sportstudenten litten 1,7 Prozent unter einer Schambeinentzündung, wobei bei den Erkrankten das Geschlechterverhältnis männlich:weiblich bei 5:1 lag.
Anamnese und Diagnose
Die von einer Schambeinentzündung betroffenen Patienten haben in den meisten Fällen Schmerzen beim Gehen und Treppensteigen sowie beim Stehen auf einem Bein. Der Schmerz kann örtlich auf Schambeinfuge und Schambeinäste begrenzt sein oder darüber hinaus auf Bereiche der Leisten und Hüften ausstrahlen. Die Schmerzen können bis zu den unteren Bauchmuskeln, wie beispielsweise die Beckenbodenmuskulatur, reichen und so starke Ausmaße annehmen, dass dies zu längeren Wettkampf- und Trainingspausen beim Betroffenen führt. Bei der palpatorischen Untersuchung (Betastung) empfindet der betroffene Patient einen für dieses Krankheitsbild typischen Druckschmerz über der Schambeinfuge und den Schambeinästen. Ein- oder beidseitiger Druck über die Ansätze der Adduktoren führt ebenfalls zu einem charakteristischen Schmerzbild.
Zur Differentialdiagnose sind muskuläre Dysbalancen, Blockaden des Iliosakralgelenkes, einseitiger Beckentiefstand, Leistenbruch, Nervenengpasssyndrome, Insertionstendinosen, Adduktorenzerrungen und urogenitale Erkrankungen auszuschließen. Zur sicheren Diagnosestellung kann eine örtliche Betäubung (Lokalanästhesie) der Schambeinfuge, die während der Anwendung bildgebender Verfahren durchgeführt wird (Bildwandlerkontrolle), herangezogen werden. Im Blutplasma können unter Umständen erhöhte Werte von C-reaktivem Protein gemessen werden, während sonst keine – durch die Schambeinentzündung generierte – auffälligen Laborwerte vorliegen.
Bildgebende Verfahren
Röntgen
Im Röntgenbild sind bei einer anterior-posterior-Projektion (a.-p.-Projektion, von vorne nach hinten), bedingt durch die subchondrale Sklerosierung, Erosionen über der Schambeinfuge und andere Prozesse, am Schambein Anomalien erkennbar. Der Spalt der Schambeinfuge ist meist größer als 10 mm. Bei einer a.-p.-Projektion der Schambeinfuge, die abwechselnd auf dem linken beziehungsweise rechten Fuß durchgeführt wird („Flamingoaufnahme“), kann eine vertikale Verschiebung der Schambeinfuge, auf der jeweils belasteten Seite, um mehr als 2 mm festgestellt werden.
Skelettszintigrafie
Mit Hilfe der Dreiphasen-Skelettszintigrafie mit 99mTechnetium-markierten Bisphosphonaten kann die Schambeinentzündung von einer Osteomyelitis unterschieden werden. Während bei einer Osteomyelitis in allen drei Phasen eine Anreicherung des Tracers stattfindet, ist dies bei der Schambeinentzündung nur in der Spätphase (Mineralisationsphase) der Fall.
Magnetresonanztomographie
Bei einer T2-gewichteten Magnetresonanztomographie können bei einer akuten Schambeinentzündung ein periartikuläres subchondrales Knochenmarködem, Flüssigkeitsansammlungen in der Schambeinfuge und ein periartikuläres Ödem gesehen werden. Chronische Erkrankungen sind durch die subchondrale Sklerose und Resorption, Osteophyten und andere Veränderungen am Knochen gekennzeichnet.
Ätiologie
Die Ursache für eine Schambeinentzündung ist eine Überlastung der Schambeinfuge infolge einer sportlichen Betätigung, die zu einer Reizentzündung (abakteriell) führt. Die Schambeinfuge hält den Beckenring zusammen und ermöglicht eine Verschiebung der Schambeine um wenige Millimeter. Durch eine hohe sportliche Belastung, aber auch durch eine mögliche anatomische Instabilität, kann es zu einer lokalen Entzündungsreaktion kommen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Hüftbeweglichkeit eingeschränkt ist, eine hohe wiederholende Scherbeanspruchung am Beckenring gegeben ist, die Adduktorenmuskulatur am unteren Schambeinast (Ramus inferior ossis pubis) überlastet wird und die Iliosakralgelenke instabil sind. Die mechanische Belastung an der Schambeinfuge führt zu Reparaturprozessen, bei denen es zu Einsprossungen von Granulationsgewebe und Resorptionszonen benachbarter Knochen kommt.
Prävention
Verschiedene Übungen, die dem Aufbau und der Stabilisierung der Bauch- und Rumpfmuskulatur dienen, können einer Schambeinentzündung vorbeugen. Dehnungsübungen der Adduktoren sind ebenfalls präventiv. Auch eine Verbesserung der Motorik kann, wie auch die Korrektur von biomechanischen Balancestörungen, vorbeugend wirken.
Therapie
Eine Schambeinentzündung wird üblicherweise zunächst konservativ behandelt. Dazu gehört die orale Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika („Entzündungshemmer“), seltener von oralen Corticosteroiden, verschiedene physikalische Therapien, wie beispielsweise Kryo- und Elektrotherapie, sowie physiotherapeutische Übungen. Letztere dienen vor allem der Stärkung der Rumpf- und Beckenbodenmuskulatur. Dazu gehören auch Dehnungsübungen der Adduktorenmuskulatur. Eine Pause vom Sport ist zwar auch heilungsfördernd, oft aber nicht im Sinn des Patienten.
Wenn die konservativen Maßnahmen erfolglos sind, so bleibt als letztes Mittel der operative Eingriff. Eine Kürettage wird im Wesentlichen nur bei Leistungssportlern durchgeführt, sie führt in den meisten Fällen zu einer dauerhaften Heilung.
Ergänzende Differentialdiagnostik
Wegen der oft sehr langen Ausfallzeiten der Sportler, besonders bei Fußballern, muss differentialdiagnostisch auch an eine Stressfraktur (bone bruise) im Schambeinast gedacht werden. Stressfrakturlinien wurden relativ häufig in Kontroll-MRT-Untersuchungen und Dünnschichtcomputertomographien (Knochenfenster) gesehen. Somit handelt es sich nicht ausschließlich um eine Entzündung. In diesem Fall basiert die Therapie auf einer absoluten Sportkarenz; Cortison-Applikationen werden üblicherweise vermieden. Die Möglichkeit der operativen Einkerbung des Musculus gracilis (Gracilis-Tenotomie) und eines Teils des Musculus adductor longus knochennah zur Reduktion der Sehnenspannung am vorderen Schambeinast (Zugkräfte am erkrankten Knochen) kann in diesem Zusammenhang erwogen werden.
Erstbeschreibung
Die Schambeinentzündung wurde erstmals 1924 durch den US-Amerikaner Edwin Beer (1876–1938) beschrieben. Der Begriff Osteitis pubis wurde 1930 von H. L. Kretschmer und W. P. Sights geprägt. Erstmals bei einem Sportler – einem Fechter – wurde die Erkrankung 1932 durch A. Spinelli beschrieben.
Literatur
- M. Wulzinger: Schwache Mitte. In: Der Spiegel. Nr. 39, 2004, S. 202 (online).
Fachbücher
- R. Schubert: Indikationen zur MRT: Leitfaden für Zuweiser. ABW Wissenschaftsverlag, 2008, ISBN 3-936072-88-4, S. 91. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
Review-Artikel
- S. Pauli, P. Willemsen, K. Declerck, R. Chappel, M. Vanderveken: Osteomyelitis pubis versus osteitis pubis: a case presentation and review of the literature. In: British journal of sports medicine. Band 36, Nummer 1, Februar 2002, S. 71–73, PMID 11867499, PMC 1724464 (freier Volltext) (Review).
- S. K. Andrews, P. J. Carek: Osteitis pubis: a diagnosis for the family physician. In: J Am Board Fam Pract 11, 1998, S. 291–295. PMID 9719351
- S. S. Lentz: Osteitis pubis: a review. In: Obstet Gynecol Surv 50, 1995, S. 310–315. PMID 7783998
Originäre Forschung
- C. A. Webb, M. L. Jimenez: What is your diagnosis? Osteitis pubis. In: JAAPA 21, 2008, S. 68. PMID 19253598
- H. Paajanen u. a.: Pubic magnetic resonance imaging findings in surgically and conservatively treated athletes with osteitis pubis compared to asymptomatic athletes during heavy training. In: Am J Sports Med 36, 2008, S. 117–121. PMID 17702996