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Sophrologie
Sophrologie (von altgriechisch σώφρων sophron („gesunden Sinnes, verständig“) und dem Suffix -logie, übersetzt etwa: „die Lehre von der Besonnenheit des Geistes“) ist eine individuelle Bewusstseinsschulung, die Körper und Geist aktivieren und das Erlebte integrieren soll. Die Sophrologie als therapeutische Methode wird der Alternativmedizin zugerechnet.
Der Begriff Sophrologie wurde 1960 vom kolumbianischen Neuropsychiater Alfonso Caycedo (1932–2017) geprägt. Er bezeichnet eine von ihm entwickelte Methode zur individuellen Schulung des Bewusstseins und der Werthaltungen der Existenz. Die Sophrologie versteht sich sowohl als Wissenschaft als auch als Philosophie des Bewusstseins.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Begründer der Sophrologie war der kolumbianische Neuropsychiater Alfonso Caycedo, der diese Methode von 1960 bis 2001 in Madrid entwickelte. Er ergänzte in seiner Tätigkeit die klassischen Behandlungsmethoden der Psychiatrie mit spezifischen Techniken und dynamischen Entspannungen. Er war einer der letzten Schüler von Ludwig Binswanger, dieser beeinflusste den jungen Caycedo in seinem weiteren Werdegang maßgeblich, unter anderem auch zu seiner Reise nach Indien, Tibet und Japan (1965–1968).
Am Anfang basierte die Sophrologie nach der Caycedo-Methode auf der Hypnose, von der sich Caycedo jedoch bald distanzierte, da diese das Bewusstsein modifiziert. Sein Ziel war es, das „reine Bewusstsein“ zu entdecken, ohne es zu verändern. Dafür integrierte er verschiedene westliche und östliche Denkweisen in seine Methode. So finden sich in der Sophrologie sowohl Elemente aus der existentiellen Phänomenologie, der Axiologie, als auch Aspekte aus dem japanischen Zen, dem tibetanischen Buddhismus und dem indischen Raja Yoga. Zwei westliche Entspannungsverfahren, das autogene Training nach Johannes Heinrich Schultz und die progressive Muskelentspannung von Edmund Jacobson, wurden zudem angepasst zu festen Bestandteilen der Sophrologie.
Caycedo hat den Begriff „Sophrologie“ anfänglich nicht juristisch geschützt. Heute wird zwischen „Sophrologie nach der Caycedo Methode“ und „Sophrologie“ unterschieden. Die „Sophrologie nach der Caycedo Methode“ lehrt die „authentische“ Sophrologie. Sie wird als Pädagogik der Existenz nicht im Bereich der Therapie, sondern in dem der Begleitung angesiedelt. Die theoretischen Grundlagen entwickelten sich seit der Entstehung der Sophrologie im Jahre 1960 bis 2001 stark. 1995 wurden mit dem Schutz der Marke „Sophrologie nach der Caycedo Methode“ die Grundlagen der Lehre definiert und benannt (juristische Basis, Semantik, Epistemologie und Methode).
Aus dieser Sophrologie entwickelten sich in Kombination mit anderen Methoden weitere Richtungen, mit jeweils anderer theoretischer oder praktischer Ausrichtung. Es handelt sich dabei um „Sophrologien“, deren Grundlagen auf den Prinzipien der „Sophrologie nach der Caycedo Methode“ (vor 1995) beruhen und deren Anwendungsbereich pädagogisch, sozial, therapeutisch oder analytisch ist. Unter „Sophrologie“ finden sich die analytische, die phänomenologische, die existenzielle, die therapeutische und die ludische Sophrologie, um nur die wichtigsten Richtungen zu nennen.
Methode
Die Sophrologie versteht sich sowohl als Wissenschaft als auch als Philosophie des Bewusstseins. Die Sophrologieausbildung war lange Zeit Ärzten vorbehalten. Aus Gründen der Qualitätssicherung der Ausbildung und zum Schutz der Marke wird heute zwischen „Sophrologie nach der Caycedo Methode“ und „Sophrologie“ unterschieden. Eine Ausbildung als Sophrologe nach der Caycedo-Methode dauert vier Jahre. Die Grundausbildung oder der 1. fundamentale Zyklus wird in 9 verschiedenen Ländern angeboten. Die weiterführende Ausbildung mit dem zweiten (radikalen) und dritten (existentiellen) Zyklus kann aktuell in Spanien und Frankreich gemacht werden. Die drei Zyklen beinhalten zwölf dynamische Entspannungen nach Caycedo (DEC) und die entsprechenden spezifischen Techniken. Diese Techniken verwenden dabei die Atmung, das Körperbewusstsein, die Visualisierung, sowie spezielle Körperhaltungen und Bewegungen. In der Schweiz ist die Sophrologie eine anerkannte Komplementärtherapie, die von Krankenkassen-Zusatzversicherungen vergütet wird. Mit einer medizinischen Grundlagenausbildung darf in der Schweiz eine Praxis eröffnet werden.
Sophrologen nach der Caycedo-Methode verfügen über eine eigene Begriffswelt, die der sophrologischen Wissenschaft eigen ist.
In der Epistemologie des ersten (fundamentalen) Zyklus gibt es fünf Theorien, eine davon:
Theorie der Niveaus und Zustände des Bewusstseins
Diese sophrologische Theorie geht von drei Bewusstseinsebenen aus: Der Wach- und der Schlafebene sowie der sogenannten „sophroliminalen“ Ebene. Letztere ist ein Zustand zwischen Wach- und Schlafebene, der sich durch tiefe Entspannung und gesteigerte Erlebnisfähigkeit auszeichnet. Die Behandlung zielt darauf ab, diesen sophroliminalen Zustand selbst herbeizuführen, zu verlängern und für eine positive Beeinflussung des Bewusstseins zu nutzen. Die Klienten lernen so z. B. in Einzel - /oder Gruppensitzungen mit Stress, Ängsten, Emotionen oder (Geburts-)Schmerzen anders umzugehen.
Ein zentrales Element der Methode ist die Vivenz, dies ist ein Neologismus, der aus dem spanischen Wort „Viventia“ abgeleitet ist, was mit „Erlebnis“ übersetzt werden kann. Sie ist das konstitutive Element des vivenziellen Prozesses über alle drei Zyklen. Durch regelmäßiges Üben verstärken sich die physischen, psychischen und mentalen Strukturen. Dabei werden immer mehr Facetten des eigenen Bewusstseins und der eigenen Werte entdeckt und erobert, was es erlaubt, den Blick auf die Welt zu transformieren.
Dem Bewusstsein des eigenen Körpers kommt in der Sophrologie eine Schlüsselfunktion zu. Ein gut entwickeltes Körperschema ermöglicht es, die eigenen Bedürfnisse des Körpers besser wahrzunehmen und zu respektieren. Es erlaubt dem Menschen, die Wahrnehmung der eigenen Welt zu transformieren und letztendlich das Leben weniger als Objekt zu erleiden. Das Körperschema ist wandelbar und abhängig von verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel der physischen Verfassung, dem sozialen Verhalten, dem Geschlecht, den Emotionen oder den Werturteilen. Die Vivenz hat dabei zum Ziel das Bewusstsein des Körperbildes als erlebte Realität zu erweitern.
Die Erforschung des (eigenen) Bewusstseins nimmt in der Sophrologie einen wichtigen Platz ein. Die Frage nach dem „Sein“ und dem Bewusstsein gleicht einer Geschichte des menschlichen Denkens. Es gibt Menschen, welche die Existenz eines Bewusstseins negieren. Augustinus von Hippo verwendete das Wort „Bewusstsein“ zum ersten Mal. Caycedo definiert das Bewusstsein als eine Kraft, welche die Integration aller physischen, psychischen und mentalen Elemente des „Seins“ erlaubt. Für ihn stellt Bewusstsein somit die unsichtbare Verbindung oder das Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Seele dar.
Alfonso Caycedo beschreibt verschiedene Entwicklungsstufen des Bewusstseins, ähnlich wie der Philosoph Jean Gebser. Damit zeigt er auf, dass das Bewusstsein entwicklungsfähig ist. Dem Phänomen der Zeit kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. So stellen sowohl Caycedo wie auch Gebser klar erkennbare Entwicklungsstufen fest:
- Das archaische Bewusstsein: Das Ursprungsbewusstsein, der Mensch ist noch ganz und gar eingeschlossen, undifferenziert und eins mit dem Kosmos, dem All oder mit Gott.
- Das magische Bewusstsein, ist mehr im Vitalbereich begründet. Im magischen Bereich sind die Dinge immer alle gleichzeitig vorhanden. Der Mensch ist noch „ichlos“ und lebt im Clan. Die magische Struktur entspricht dem Kindesalter.
- Das mythische Bewusstsein ist mehr psychisch beheimatet, es ist das „Einander-sich-Ergänzende“. Zum ersten Mal erhält der Mensch ein reflexives Bewusstsein dessen, was Zeit ist. Er lebt als Mensch noch mehr im „Wir“ der Sippe
- Das mentale/rationale Bewusstsein ist mehr im Denken begründet. Ratio kommt von teilen, „Ratio“ bedeutet nicht nur Denken, Überlegen und Verstand, sondern vor allem „Teil“ und impliziert auch ein einspuriges, final gerichtetes Denken. Dieses Bewusstsein beherrscht seit Descartes das Denken der heutigen globalen Gesellschaft.
- Heute zeichnet sich eine neue Bewusstseinsstufe ab: Caycedo nennt es das sophronische Bewusstsein, Gebser das integrale Bewusstsein. Das sophronische Bewusstsein ist ganzheitlich und harmonisch auf die Innen- und Außenwelt gerichtet und trägt menschliche Werte in den Lebensalltag hinein. Der Mensch ist fähig, in seiner individuellen Entwicklung (Ontogenese) alle Entwicklungs-Schichten (Phylogenese) des Bewusstseins zu durchleben und ganzheitlich zu integrieren.
Die Phänomenologie ist ein Aspekt der Sophrologie. Der phänomenologische Standpunkt versteht sich laut Christiane Oppikofer als Kritik einer erkenntnistheoretischen Einstellung, die nur das gelten lassen will, was naturwissenschaftlich, physikalisch-mathematisch erfassbar ist. In der Sophrologie übernimmt Caycedo diese Einstellungsänderung, insbesondere „Die erste Person-Perspektive“, die sich von der „Dritte Person-Perspektive“ unterscheidet. Die naturwissenschaftlich-objektivierende Auffassung eliminiert das Subjekt aus der Wissenschaft. Tatsächlich ist aber jedes Phänomen eine Erscheinung von etwas für jemanden. Es bekommt damit Bedeutung und wird emotional bewertet. In der Sophrologie wird insbesondere die Art untersucht, wie das alltägliche Leben subjektiv, also für uns, für mich als Subjekt, erscheint. Ziel der Sophrologie ist, das eigene Bewusstsein zu entdecken, zu erobern und zu transformieren:
Wenn wir die Strukturen unseres eigenen Bewusstseins kennen und die „Erste-Person-Perspektive“ einnehmen, dann können wir intersubjektiv Sichtweisen und Erlebniswelten anders austauschen. Wenn ich die andere Person als Objekt sehe (oder sie mich), dann ist sie (oder ich) der Würde beraubt. Würde bedeutet, die andere Person als Subjekt zu sehen und zu behandeln und von ihr als Subjekt behandelt zu werden. Einen Menschen als Objekt zu betrachten oder ihn als solchen zu behandeln, behandelt ihn würdelos.
Dies führt Caycedo zu den Werten der Existenz. Caycedo beschreibt diese Werte in der „Theorie der existenziellen Werte des Menschen“ (siehe auch Deklaration von Genf, 17. Mai 2001, Universität Genf). Bei den existenziellen Werten schlägt Caycedo eine Unterteilung in transzendentale, strukturelle und essenzielle Werte vor. Bei den essenziellen Werten nennt er z. B. die Freiheit, die Verantwortung und die Würde.
Forschung
Die Sophrologie ist in der französischen Gesundheitslandschaft ziemlich weit verbreitet. Vom französischen Institut national de la santé et de la recherche médicale (INSERM) wird sie allgemein als psycho-physische Praxis beschrieben, die auf Entspannungstechniken in Zusammenhang mit Atemübungen und „positiver Evokation“ basiert. Allein auf der Plattform PubMed finden sich 168 Studien zur Sophrologie. Das „Centre de Recherche en Epidémiologie et Santé des populations“ (CESP) untersuchte im Jahre 2020 in Zusammenarbeit mit dem INSERM 143 dieser Publikationen (Pubmed und PsychINFO) und konnte nur in vier Studien einen Wirksamkeitsnachweis finden.
Wie in anderen medizinischen Disziplinen gibt es auch in der Sophrologie nur wenige Studien mit einem randomisiert-kontrollierten Studiendesign. Auch wenn es Fragen betreffend den Möglichkeiten und Grenzen von Studien nach der evidenzbasierten Medizin gibt, bemängelte das CESP und das INSERM die methodische Qualität vieler Publikationen. Es seien bis dato wenige Aussagen bzgl. der Auswirkungen dieser Methode auf die Gesundheit möglich. Wissenschaftliche Studien, die einen Wirksamkeitsnachweis bei bestimmten Beschwerden liefern sollen, sind qualitativ und quantitativ sehr schwach. Die Sophrologie soll sich günstig auf verschiedene Aspekte der psychischen Gesundheit auswirken (Stress, Schlaf, Emotionsregulation), einige funktionelle und psychische Störungen lindern und Patienten mit schweren, z. B. onkologischen Erkrankungen unterstützen. Sophrologie könnte so einen präventiven Beitrag zur Erhaltung der Gesundheit leisten.
Vom CESP und vom INSERM bestätigte Studien wurden 2013 (zum Thema Stress), 2018 (Asthma bei Kindern) und 2019 (Fibromyalgie bei Frauen) publiziert.
Kritik
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Kritikströmungen unterscheiden.
Die Kritik am Begriff und der Methode ist gekennzeichnet von der definitorischen Unschärfe des Wortes „Sophrologie“: Die Sophrologie befinde sich auf einer Grenze zwischen New Age und Pseudowissenschaft. Der Methode wurde vorgeworfen, sie basiere vor allem auf subjektiven Erfahrungen. Aus naturwissenschaftlicher Sicht wurde kritisiert, dass die Grundlagen der Methode spekulativ seien und dass innerhalb der Sophrologie wenig Anstrengungen zur Evaluierung unternommen wurde.
Der ehemalige französische Gesundheitsminister sagte im Jahre 2004: „Da bisher keine ernsthafte Studie über die Sophrologie durchgeführt wurde, kann diese Tätigkeit nicht als eine zu fördernde therapeutische Methode angesehen werden .“ Das Gesundheitsministerium in Frankreich kritisierte 2018 zudem in einem Gesundheits-Leitfaden ein mögliches Abdriften der Sophrologie ins Sektiererische. Die Sophrologie findet sich auf einer umfangreichen Liste zusammen mit rund 30 anderen Methoden wie z. B. der Kinesiologie, der Ayurveda- oder der Gestalt-Therapie.
Weblinks
Literatur
- Alfonso Caycedo: L'Aventure de la sophrologie, Paris 1979
- Alfonso Caycedo: Dictionnaire abrégé de sophrologie et relaxation dynamique, Paris 1972, vergriffen
- Natalia Caycedo: Alfonso Caycedo : Le parcours hors du commun du créateur de la sophrologie, Edition Sofrocay, Barcelona 2018, ISBN 978-99920-3-178-0
- Patrick-André Chéné: Sophrologie, Tomme I, Édition Ellébore, Paris 2014, ISBN 979-10-230-0019-1
- Patrick-André Chéné: Sophrologie, Tomme II, Édition Ellébore, Paris 2015, ISBN 979-10-230-0040-5
- Raymond Abrezol: Sophrologie et Sports, Édition Chiron, 1988, ISBN 2-7027-0338-0, ISBN 978-2-7027-0338-0
- Raymond Abrezol: Sophrologie: Der neue Weg zu gesundem Leben. Panorama-Verlag, Altstätten / München 1988, ISBN 978-3-907506-11-0
- Christiane Oppikofer: Sophrologie pour la vie, Édition Ambre, Genf 2021, ISBN 978-2-940594-30-6