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Tilidin
Strukturformel | ||||||||||||||||||||||
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1:1-Gemisch der Stereoisomere: (1S,2R)-Isomer (links) und (1R,2S)-Isomer (rechts) | ||||||||||||||||||||||
Allgemeines | ||||||||||||||||||||||
Freiname | Tilidin | |||||||||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C17H23NO2 | |||||||||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||||||||
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Arzneistoffangaben | ||||||||||||||||||||||
ATC-Code | ||||||||||||||||||||||
Wirkstoffklasse | ||||||||||||||||||||||
Eigenschaften | ||||||||||||||||||||||
Molare Masse | 273,37 g·mol−1 | |||||||||||||||||||||
Aggregatzustand |
fest |
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Schmelzpunkt |
159 °C (Tilidin·Hydrochlorid) |
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Siedepunkt |
95,5–96 °C bei 1 Pa |
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Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | ||||||||||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Tilidin ist ein schmerzstillend wirkender Arzneistoff aus der Gruppe der Opioide.
Die synthetisch hergestellte Substanz wird für die Behandlung starker und sehr starker Schmerzen eingesetzt. Als Prodrug hat Tilidin kaum eine schmerzstillende Wirkung und es wird erst in der Leber zu den Metaboliten Nortilidin und Bisnortilidin verstoffwechselt, von denen Nortilidin die hauptsächliche Wirkung zeigt.
Um einer missbräuchlichen Anwendung als Rauschmittel vorzubeugen, ist Tilidin in Fertigarzneimitteln meist fix mit dem Arzneistoff Naloxon kombiniert. Die Kombination aus Tilidin und Naloxon soll unter Beibehalten der analgetischen Wirkung das Missbrauchspotenzial vermindern. Naloxon wirkt nach oraler Gabe therapeutischer Dosen vernachlässigbar, hebt jedoch nach hohen oralen Dosen oder intravenöser Gabe die Wirkung des Tilidins auf. Für die Behandlung chronischer Schmerzen ist Tilidin als Schmerzmittel in die Stufe 2 gemäß dem WHO-Stufenschema eingeordnet.
Neben Deutschland und der Schweiz ist Tilidin nur in wenigen europäischen Staaten und Südafrika erhältlich. In Österreich ist der Wirkstoff nicht erhältlich.
Inhaltsverzeichnis
Chemie
Geschichte
Tilidin wurde 1967 von Gödecke patentiert und 1970 als Valoron im Markt eingeführt. Heutzutage sind auch Generika im Handel, zur Minderung des Missbrauchsrisikos meist als feste Kombination mit Naloxon.
Herstellung
Die chemische Synthese von Tilidin geht vom Dimethylaminobuta-1,3-dien, welches aus Crotonaldehyd und Dimethylamin gewonnen wird, und Atropasäureethylester aus, die in einer Diels-Alder-Reaktion die Zielverbindung bilden.
Die Trennung der Diastereomeren kann über chirale Zinkkomplexe erfolgen.
Stereoisomerie
2-(Dimethylamino)-1-phenylcyclohex-3-en-carbonsäure-ethylester enthält zwei stereogene Zentren. Es existieren also folgende vier Stereoisomere: (1R,2S)-Form und die dazu enantiomere (1S,2R)-Form sowie die (1R,2R)-Form und die (1S,2S)-Form. Der Arzneistoff Tilidin wird als Racemat (1:1-Mischung) aus dem (1R,2S)- und dem (1S,2R)-Enantiomeren eingesetzt. Der Bedeutung der Enantiomerenreinheit der synthetisch hergestellten Arzneistoffe wird zunehmend Beachtung eingeräumt, denn die beiden Enantiomeren eines chiralen Arzneistoffs zeigen fast immer eine unterschiedliche Pharmakologie und Pharmakokinetik. Dies wurde früher aus Unkenntnis über stereochemische Zusammenhänge oft ignoriert. So ist die (1S,2R)-Form [(+)-trans-Form] stärker wirksam, als die (1R,2S)-Form [(−)-trans-Form]. Bei subcutaner Anwendung verhalten sich die ED50-Werte dieser beiden Enantiomere wie 1:23.
Darüber hinaus ist die racemische trans-Form [Tilidin = 1:1-Mischung aus (1R,2S)- und (1S,2R)-Form] etwa zweimal so aktiv wie die in kommerziellen Arzneimitteln nicht eingesetzte racemische cis-Form [1:1-Mischung aus (1R,2R)- und (1S,2S)-Form]. Die cis-Form ist bis maximal 0,5 Prozent als Verunreinigung aus dem Syntheseprozess in Tilidin enthalten.
Übersicht über die Stereoisomere des 2-Dimethylamino-1-phenylcyclohex-3-encarbonsäureethylesters | ||||
Isomere Form | (1S,2R)-trans | (1R,2S)-trans | (1R,2R)-cis | (1S,2S)-cis |
Strukturformel | ||||
Namen | Dextilidin (INN) (+)-trans-Tilidin, (+)-Tilidin, (1S,2R)-trans-Tilidin |
(−)-trans-Tilidin, (−)-Tilidin, (1R,2S)-trans-Tilidin |
cis-Tilidin (INNvm) |
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Tilidin (INNv) trans-Tilidin, (±)-trans-Tilidin, D,L-trans-Tilidin, Tilidate (BAN 1999), rac-Ethyl[(1RS,2SR)-2-(dimethylamino)-1-phenylcyclohex-3-encarboxylat] | ||||
Ethyl[2-(dimethylamino)-1-phenylcyclohex-3-encarboxylat] | ||||
CAS-Nummer | 32447-90-8 | 38690-93-6 |
20380-56-7 (Racemat cis-Form) |
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51931-66-9 (Racemat trans-Form) | ||||
17243-69-5 (nicht spezifiziert / Isomerengemisch) | ||||
Datenbank-Links |
PubChem: 30131 |
PubChem:12546498 |
PubChem: 44150542 |
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PubChem: 98526 | ||||
PubChem: 32329 |
Pharmazeutische Informationen
Tilidin wird arzneilich in Form des Hydrochlorid-Hemihydrats und des Phosphats verwendet. Als Darreichungsformen gibt es Tropfen (20 Tropfen = 50 mg) zum Einnehmen und Retardtabletten (50–200 mg). In Deutschland ist Tilidin in den Präparaten mit Naloxon kombiniert (pro 50 mg Tilidin je 4 mg Naloxon).
Klinische Angaben
Anwendungsgebiete
Tilidin ist angezeigt zur Behandlung starker und sehr starker Schmerzen. Die Potenz liegt bei 0,16–0,19 im Vergleich zu Morphin (etwa ein Fünftel der analgetischen Wirkstärke) – nach anderen Angaben beträgt die analgetische Äquivalenz der Einzeldosis nur 1/10 (ein Zehntel).
Nebenwirkungen
Prinzipiell treffen alle der opioidtypischen Nebenwirkungen auf Tilidin zu (siehe Opioide, Abschnitt „Weitere Wirkungen“). Allerdings kann wegen des Naloxon-Zusatzes die Verstopfung (Obstipation) deutlich schwächer ausgeprägt sein. Auch vermindert Naloxon die atemdepressive Wirkung. Der rasche Wirkungseintritt begünstigt Übelkeit und Erbrechen.
Anwendung bei eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion
Bei Patienten mit bestehenden Vorschädigungen der Leber besteht die Gefahr eines Wirkungsverlustes, da die hepatische Metabolisierung zu den wirksamen Metaboliten beeinträchtigt werden kann. Eine Niereninsuffizienz erfordert keine Dosisanpassung.
Gegenanzeigen
Tilidin ist kontraindiziert bei Überempfindlichkeit gegen die Substanz, bei Opiatabhängigkeit (siehe Abschnitt Pharmakologie), sowie bei Porphyrie, Atemdepression, Darmverschluss, akutem Abdomen, Schädel-Hirn-Trauma, erhöhtem intrakraniellen Druck und in Kombination mit bestimmten Medikamenten (Benzodiazepine oder MAO-Hemmer).
Pharmakologie
Tilidin an sich hat kaum opioidtypische Wirkung und wird erst bei seiner ersten Passage durch die Leber durch Demethylierung zu Nortilidin – dem eigentlichen opioiden Wirkstoff – verstoffwechselt. Nortilidin ist einerseits ein µ-Agonist, andererseits wird es im weiteren Verlauf in das wiederum aktive Bisnortilidin überführt, das ebenfalls opioide Effekte vermittelt. Nach der Einnahme von Tilidin baut sich die Opioidwirkung vergleichsweise schnell auf (etwa 10–20 Minuten). Die Enzyme, die an diesem Schritt beteiligt sind, gehören zur Klasse der Cytochrom P450. Im Detail scheinen die zu dieser Klasse gehörenden Enzyme CYP3A4 und CYP2C19 am Abbau von Tilidin zu Nortilidin und gleichfalls am weiteren Abbau zu Bisnortilidin und bisher nicht weiter untersuchter polarer Substanzen beteiligt zu sein. Dies konnte durch Inhibition mit Naloxon und spezifisch diese Enzyme hemmende Antagonisten nachgewiesen werden. Dabei werden zwei Drittel der Dosis von Tilidin zu Nortilidin verstoffwechselt, wovon durch Demethylierung die Hälfte weiter zu Bisnortilidin verstoffwechselt wird. Damit stehen ca. 33 % an der wirksamen Form Nortilidin zur Verfügung.
In den üblichen Dosierungen, die patientenabhängig schwanken können, setzt die analgetische Wirkung nach etwa 5 bis 10 Minuten (Injektion, Tropfen zum Einnehmen) bzw. etwa 15 bis 20 Minuten (Kapseln) ein, die Wirkdauer beträgt ungefähr 4 bis 6 Stunden. Bei Retardarzneimitteln, also Darreichungsformen, die den Wirkstoff nach und nach abgeben, ist die Wirkdauer mit 6 bis 12 Stunden entsprechend länger. Der analgetisch aktive Metabolit Nortilidin hat eine terminale Plasmahalbwertszeit von 3 bis 5 Stunden.
Das dem Tilidin beigegebene Naloxon wird nach oraler Gabe therapeutischer Dosen bei seiner ersten Passage durch die Leber fast vollständig abgebaut und inaktiviert (First-Pass-Effekt). Nur nach Einnahme großer Mengen oder nach parenteraler Gabe verbleiben ausreichende Konzentrationen von Naloxon, um eine antagonistische Wirkung zu entfalten und die Wirkung des eingenommenen Tilidins zu hemmen oder zunichtezumachen. Bei Opiatabhängigen kann es auch bei oraler Gabe zu schwersten Entzugserscheinungen kommen.
Tilidin hat keine antitussive Wirkung.
Verwendung als Rauschmittel
Die Verwendung von Tilidin als Rauschmittel wird dadurch eingeschränkt, dass es in der Regel mit Naloxon, einem Opioidantagonisten, fix kombiniert ist und nicht retardierte Präparate sowie Monopräparate nur auf Betäubungsmittelrezept zu beziehen sind. In Deutschland kommen auf alle Fertigarzneimittel pro 50 mg Tilidin je 4 mg Naloxon hinzu.
Unter Konsumenten hochpotenter Opiate wie Morphin, halbsynthetischer Opioide wie Diamorphin (Heroin) oder vollsynthetischer Opioide wie Methadon ist Tilidin wenig verbreitet. Presseberichten zufolge kommt es im Zusammenhang mit Tilidin jedoch vergleichsweise häufig zu Rezeptfälschungen.
Das funk-Format STRG_F veröffentlichte 2020 eine Dokumentation über den Missbrauch von Tilidin als Rauschdroge. Als ein Grund eines erhöhten Konsums unter Jugendlichen wird in der ARD-Recherche die gleichzeitige Popularität von Deutschrappern genannt, die in ihren Rap-Songs Tilidin thematisieren. Allerdings wurde die zunächst im Video thematisierte Behauptung, dass Verschreibungen unter Jugendlichen um das 30-fache zugenommen hätten, später als Falschmeldung aufgrund von Rechenfehlern identifiziert. Dennoch gab es einen etwa 50-prozentigen Anstieg der Verschreibungen unter 15–20-Jährigen.
Auch aufgrund der medialen Konzeption und Missbrauchsaffinität, wie sie auch durch Populärkultur unterstrichen wird, hat Tilidin ein vergleichsweise schlechtes Image.
Betäubungsmittelrechtliche Vorschriften
Tilidin unterliegt betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften. In Deutschland darf trans-Tilidin als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel seit dem 1. Januar 2013 nur noch auf einem Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Ausgenommen sind feste Zubereitungen mit verzögerter Wirkstofffreigabe (Retardarzneimittel), die den Wirkstoff unterhalb einer festgelegten Dosisgrenze und in Kombination mit Naloxon enthalten.cis-Tilidin ist verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähig.
Der Besitz und Umgang mit Tilidin, welches in Tablettenform mit fixer Naloxonbeigabe vorliegt, ist generell legal – allerdings wird potentieller Handel durch das Arzneimittelgesetz nach § 95 Absatz 1 Nr. 5 untersagt. Nur Tilidin ohne Naloxon unterliegt der üblichen Klausulierung und Reglementierung durch das BtMG. Besitz, Umgang und Handel hiermit steht generell unter Strafe, ist also juristisch abzugrenzen.
In den USA unterliegt Tilidin der Schedule-I; die Substanzen dieser Kategorie (unter anderem etwa Heroin und Cannabis) sind vergleichbar mit den Substanzen des BtMG der Anlage-I. Demnach wird für das Schmerzmittel Tilidin in den USA kein medizinischer Nutzen anerkannt und es ist verboten.
Handelsnamen
- Kombinationspräparate
- Valoron N (D), Valtran (B), zahlreiche Generika (D)
Weblinks
- Stephan Orth: Hemmungslose Gewalt: Trend-Droge lässt Jugendliche durchdrehen. In: Spiegel Online. 23. Januar 2008.