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Hormonersatztherapie
Hormonersatztherapie (HET; englisch hormone replacement therapy, HRT) bezeichnet die medizinische Verwendung von Hormonen zur Behandlung von Beschwerden, die auf einen relativen oder absoluten Mangel eines oder mehrerer Hormone zurückgeführt werden können. Im engeren Sinne wird mit Hormonersatztherapie die Gabe von Medikamenten in den Wechseljahren (Klimakterium bei Frauen und Klimakterium virile bei Männern) und als begleitende geschlechtsangleichende Maßnahme bei Transsexualität bezeichnet. Der Begriff selbst ist strittig, da es sich um eine Unterart der Hormontherapie (HT oder z. B. eine menopausal hormone therapy (MHT) oder Postmenopausale Hormontherapie (PHT,PMHT)) handelt und nicht ein kompletter Ersatz des endogenen Hormonstoffwechsels stattfindet.
Hormone, die in der Hormontherapie eingesetzt werden können, wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Heute haben bioidentische Hormone die früheren, aus Pferdeurin gewonnenen Hormone abgelöst.
Inhaltsverzeichnis
Art und Herkunft der Hormone
Hormone, die in der Hormontherapie eingesetzt werden können, wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt.
Hormone aus Stutenurin
Lange Zeit wurden beispielsweise equine Östrogene verwendet, die aus dem Urin von trächtigen Stuten gewonnen wurden. Dabei handelt es sich um nicht genau definierte Gemische in stark variablen Konzentrationen, die zudem Steroide enthalten, darunter auch Androgene, Gestagene und Kortikoide. Damit sind equine Östrogene nicht bioidentisch. Die Effekte sind nicht vorauszusagen, weshalb es auch keine klaren Dosis-Wirkungs-Beziehungen gibt.
Bioidentische Hormone
Die sogenannte bioidentische Hormontherapie soll Risiken verringern, die unter der klassischen Hormonersatztherapie (HRT) beobachtet wurden, insbesondere in der US-amerikanischen Frauengesundheitsinitiative (Women’s Health Initiative; WHI) oder der britischen One-Million-Women-Studie. Als bioidentisch werden nur Substanzen bezeichnet, die auch vom menschlichen Körper selbst gebildet werden und heute auf pflanzlicher Basis gewonnen werden. Diese Hormone können oral (z. B. als Tabletten) oder transdermal (z. B. als Creme) verabreicht werden.
Postmenopausale Hormonersatztherapie
Grundsätze der Behandlung
Die postmenopausale Hormonersatztherapie soll die Beschwerden durch eine sich verändernde endogene Hormonproduktion der Frau lindern. Da es sich um eine elektive Maßnahme handelt, sind besonders hohe Anforderungen an die ärztliche Aufklärung zu Vor- und Nachteilen, Risiken bei Langzeitbehandlung sowie den wesentlichen Fakten zu stellen. Als einzige Indikation zur peri- und postmenopausalen Hormonersatztherapie gilt die Behandlung peri- und postmenopausaler Beschwerden wie Hitzewallungen und Atrophie der Vaginalschleimhaut und Vulva (siehe Klimakterium). Die Prävention von Erkrankungen (z. B. Osteoporose) ist keine Indikation für eine Hormontherapie.
Grundsätzlich kann entweder eine Monotherapie mit Östrogenen (estrogen therapy (ET)) oder eine sequentielle Therapie mit Östrogen und Gestagen (estrogen progestin therapy (EPT)) durchgeführt werden, die Auswahl ist hierbei von verschiedenen Faktoren abhängig. Die Dosierung der Hormone richtet sich nach der geringsten Dosis, mit der sich die klimakterischen Beschwerden adäquat behandeln lassen. Als Darreichungsform stehen Tabletten sowie Pflaster, Cremes und Gele zur transdermalen Applikation und östrogenhaltige Cremes bzw. Ovula, Pessare und Vaginalringe zur lokalen Behandlung ausschließlich urogenitaler Beschwerden wie z. B. einer Kolpitis zur Verfügung. Die Auswahl der Applikationsform soll dem Wunsch der Patientin nach Beratung durch den Arzt entsprechen. Bei gleichzeitig vorliegenden Störungen des Fettstoffwechsels mit Hypertriglyzeridämie empfehlen Picker et al. die perorale Behandlung, bei familiären Gerinnungsstörungen, Patientinnen mit Migräne oder Epilepsie riet Douketis zur transdermalen Anwendung.
Vor Beginn der Behandlung
Vor einer Hormonersatztherapie sollte eine umfangreiche Anamneseerhebung unter Einschluss der Familienanamnese durchgeführt werden. Eine gynäkologische Untersuchung mit einem Pap-Test und eine Untersuchung der Brust sind ebenfalls erforderlich. Blutdruck und Körpergewicht vor Beginn der Behandlung sollten dokumentiert werden.
Kontraindikationen
Als Kontraindikationen (Gegenanzeigen) für eine Hormonersatztherapie gelten:
- tiefe Beinvenenthrombose oder Zustand nach Lungenembolie
- bekannte Störungen der Blutgerinnung
- schwere Lebererkrankungen
- eine Brustkrebserkrankung
- diagnostisch nicht geklärter blutiger Ausfluss aus der Vagina
- höhergradige, schlecht behandelbare Herzinsuffizienz
- therapieresistenter Bluthochdruck
- systemischer Lupus erythematodes
- Endometriumkarzinom (relative Kontraindikation, Einzelfallentscheidung)
Kontrolle während der Behandlung
Nach Beginn der Hormonersatztherapie sollte regelmäßig die Wirksamkeit der Behandlung überprüft werden, dies beinhaltet ärztliche Kontrolluntersuchungen. Vor allem soll beurteilt werden, ob die zu behandelnden Wechselbeschwerden rückläufig sind und ob eine Zufriedenheit mit der Behandlung und deren Ergebnissen vorliegt. Im weiteren Verlauf sollten regelmäßige, jährliche Kontrolluntersuchungen mit Erfassung des Blutdrucks, Körpergewicht und gynäkologischer Kontrolluntersuchung inklusive Untersuchung der Brust stattfinden. Die Durchführung eines PAP-Abstriches sowie eine Mammographie wird alle zwei Jahre empfohlen, hierbei sollte auf vorhandene Screening- und Vorsorgeprogramme geachtet werden.
Ende der Behandlung
Derzeit gibt es keine allgemein verbindliche Empfehlung über die Dauer einer Hormonersatztherapie, Einleitung, Durchführung und Beendigung müssen individuell im Dialog zwischen der betreffenden Frau und dem behandelnden Arzt beschlossen werden. Die Indikation zu einer weiteren Durchführung der Therapie sollte jedoch jährlich überprüft werden. Die Behandlung ist in jedem Fall beim Auftreten einer der oben genannten Kontraindikationen zu beenden.
Abwägung der Vor- und Nachteile
Da es derzeit keine allgemeingültige Empfehlung zur Durchführung der Hormonersatztherapie gibt, muss vor der Therapie eine Abwägung der Vor- und Nachteile durchgeführt werden. Individuelle Faktoren spielen hierbei eine bedeutende Rolle:
Vorteile
- Der positive Effekt auf Wechseljahresbeschwerden ist erwiesen
- Die Hormonersatztherapie verhindert Atrophien und Entzündungen des Urogenitalbereiches
- Es wird eine Verringerung der klimakterischen Depressionen bewirkt
- Eine Behandlung mit Östrogenen vermindert die postmenopausale Osteoporose und die damit assoziierten Frakturen
- Vermindertes Risiko, an einem Darmkrebs zu erkranken (nur bei kombinierter Östrogen-Gestagen-Therapie)
Nachteile
- Erhöhtes Risiko, an einem Brustkrebs (Mammacarcinom) zu erkranken (abhängig von verschiedenen Faktoren)
- Erhöhtes Risiko von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien
- Erhöhtes Risiko einer Gallenblasenentzündung
- Kognitive Störungen werden nicht positiv beeinflusst, die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, scheint geringfügig erhöht zu sein
- Erhöhte Progredienz bestehender kolorektaler Karzinome
Pharmakoepidemiologie der Hormonersatztherapie
Aus mehreren bevölkerungsrepräsentativen Studien, die von 1984 bis 1999 durchgeführt wurden, liegen für die Bundesrepublik Deutschland umfassende Daten zur Pharmakoepidemiologie der Anwendung von Präparaten der Hormonersatztherapie vor. Die Daten dieser langfristig geplanten Bundes-Gesundheitssurveys ermöglichen auch, die Anwendung der HRT-Präparate im Zusammenhang mit klinisch-chemischen Kenngrößen der Anwenderinnen darzustellen.
Geschichte der Hormonersatztherapie
Die Hormonersatztherapie für Frauen in den Wechseljahren begann bereits Ende der 1960er Jahre in Form einer Östrogen-Monotherapie. Dies führte jedoch zu einer erhöhten Inzidenz von Korpuskarzinomen. Ende der 1970er Jahre begann dann die sequentielle Hormonersatztherapie mit Östrogen und Gestagen, hierunter ließ sich ein Rückgang der Inzidenz des Korpuskarzinoms erzielen.
Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die Hormonersatztherapie in vermehrtem Umfang durchgeführt und damit auch Objekt großangelegter wissenschaftlicher Studien. Aufsehen erregte hierbei der Abbruch eines Teils der sogenannten WHI-Studie (women’s health initiative) im Jahr 2002.
Testosteronersatztherapie beim Mann
Testosteron ist ein natürliches Hormon, das Männer für den Erhalt vieler Körper- und Geistesfunktionen essentiell benötigt. Jenseits des 50. Lebensjahres durchlaufen Männer eine hormonelle Umstellung, das sogenannte Klimakterium virile, die zu altersassoziiertem Testosterondefizit führen kann.
Ein Testosterondefizit kann auch vorliegen bei einer Anorchie, nach einer bilateralen Orchiektomie sowie bei Transmännern.
Ein Testosterondefizit des Mannes wird heute als ernst zu nehmende Krankheit eingestuft, die zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führt und weitere Gesundheitsrisiken verursachen oder verstärken kann. Dazu zählen Atherosklerose, Diabetes mellitus Typ 2, das metabolische Syndrom, Anämien, Osteoporose, Stimmungsschwankungen (hauptsächlich Depressivität und Antriebsmangel), kognitive Störungen und sexuelle Funktionseinbußen (hauptsächlich Erektionsstörungen und Libidoverlust).
Die Testosteronersatztherapie ist mittels moderner transdermaler (z. B. Creme) und injizierbarer Depotpräparate einfacher und besser steuerbar geworden.
Es gibt klare Richtlinien hinsichtlich Diagnostik, Therapieinitiation und -überwachung. Besonderes Augenmerk bei der Therapieüberwachung gilt der Prostata und dem roten Blutbild.
Kritik
Durch die Ergebnisse mehrerer internationaler Studien geriet die Hormonersatztherapie in kontroverse Diskussion. Kritiker vermuteten schon länger, dass die Einnahme von Hormonpräparaten auf Dauer das Risiko steigern würde, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Für Aufsehen sorgte im Sommer 2003 in Deutschland vor allem die sogenannte One-Million-Women-Studie, eine langfristig angelegte Beobachtungsstudie, an der eine Million ausschließlich britischer Frauen teilnahmen. In der Gruppe der Teilnehmerinnen, die Hormonpräparate einnahmen, kam es zu einer signifikant höheren Zahl von Brustkrebserkrankungen als in der Gruppe derjenigen, die keine Hormonersatztherapie durchführen ließ. Die genauen Angaben geben darüber Aufschluss, ob eine reine Östrogen-Therapie, eine sequentielle Östrogen-Gestagen-Therapie durchgeführt wurde und ob den Teilnehmerinnen zum Zeitpunkt der Therapie die Gebärmutter entfernt worden war oder nicht.
Seit der Veröffentlichung dieser Ergebnisse ist es zu einer kontroversen, teilweise sehr emotional geführten Diskussion um Vor- und Nachteile der Hormonersatztherapie gekommen. Langjährige Beurteilungen des Nutzens einer Hormonersatztherapie, unter anderem die Annahme, dass durch Östrogene das Demenzrisiko gesenkt werden könne, weil die Durchblutung im Gehirn verbessert werde, sind durch klinische Studien seit Juni 2004 widerlegt. Eine neue Auswertung im amerikanischen Ärzteblatt zeigte, dass das Demenzrisiko im Gegenteil geringfügig erhöht wird.
Tierschutzgruppen kritisieren die Produktionsbedingungen des eingesetzten Präparats Premarin (in Deutschland: Presomen). Für die Herstellung wird der Urin trächtiger Stuten benötigt, der in spezialisierten Farmen gewonnen wird und ein Gemisch konjugierter equiner Estrogene enthält.
Besonders in den USA wurde die Hormonersatztherapie auch unter Lifestyle-Aspekten vermarktet. Oft wurde Frauen in Medienberichten suggeriert, dass ihre Haut durch die Einnahme der Hormone straffer bleibe. Tatsächlich gibt es bisher keine wissenschaftliche Studie, durch die dieser Effekt belegt werden konnte. Neuere Untersuchungen aus Österreich, bei denen aber keine HET-Präparate, sondern kosmetische Produkte untersucht wurden, scheinen jedoch zu bestätigen, dass weibliche Sexualhormone in der Kollagenfaserschicht der Haut einen positiven Effekt im Sinn einer Faltenglättung haben. Dies wurde schon vor Jahrzehnten von der Kosmetikindustrie beworben, indem mutterkuchenhormonhaltige Salben (Plazentubex) angeboten wurden.
Siehe auch
- Androgene, virilisierende Sexualhormone
- Estrogene, die wichtigsten weiblichen Sexualhormone
- Geschlechtsangleichende Maßnahme, bei Inter- und Transsexualität
- Gestagene, neben den Estrogenen die zweite wichtige Klasse der weiblichen Sexualhormone
Literatur
- Bernhilde Deitermann: Hormontherapie in und nach den Wechseljahren: Verordnungspraxis überdenken! In: Gerd Glaeske, Katrin Jahnsen: GEK-Arzneimittelreport 2003. Ansgard-Verlag, St. Augustin 2003.
- Petra Kolip (Hrsg.): Weiblichkeit ist keine Krankheit. Die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen. Weinheim / München 2000.
- U.S. Preventive Services Task Force (Hrsg.): Hormone Therapy for the Prevention of Chronic Conditions in Postmenopausal Women: Recommendation Statement. AHRQ Publication No. 05-0576, Agency for Healthcare Research and Quality, Rockville MD 2005.
- Evidence Report/Technology Assessment: Management of Menopause-Related Symptoms. (Memento vom 28. Mai 2010 im Internet Archive; PDF) U.S. Department of Health and Human Services, AHRQ Publication No. 05-E016-2, März 2005.
- Jürgen Klauber, Bernd Mühlbauer, Norbert Schmacke, Annette Zawinell: Wechseljahre in der Hormontherapie – Informationsquellen und ärztliche Einstellungen in der Praxis. Hrsg.: Wissenschaftliches Institut der AOK. Bonn 2005, ISBN 3-922093-37-X.
Weblinks
- Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause, interdisziplinäre S3-Leitlinie, AWMF 015/062, Herausgeber: DGGG, 2009.
- Women’s Health Initiative Memory Study (Memento vom 4. März 2010 im Internet Archive). (WHIMS) (englisch) wfubmc.edu (Memento vom 10. Juni 2010 im Internet Archive; PDF)