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Nichttödliche Waffe
Eine nichttödliche Waffe (engl. non-lethal weapon, daher auch: nichtletale Waffe oder nichtletales Wirkmittel; Abk. NLW) soll Personen kampfunfähig machen oder sie vertreiben, jedoch nicht töten. Weil der Einsatz solcher Waffen allerdings trotzdem tödlich sein kann (z. B. durch falsche oder inadäquate Anwendung/Handhabung, Konflikte mit anderen Einsatzmitteln oder auch bauartbedingt), wird zudem die Bezeichnung weniger tödliche Waffe (von engl. less-(than-)lethal weapon) verwendet.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Gründe und Ziele der Entwicklung nicht-tödlicher Waffen
- 2 Anwendung
- 3 Prinzipielles technisches Problem
- 4 Übersicht verschiedener Waffenarten
- 5 Literatur
- 6 Einzelnachweise
- 7 Weblinks
Gründe und Ziele der Entwicklung nicht-tödlicher Waffen
Ein häufiges Ziel in kriegerischen Auseinandersetzungen sowie bei der Anwendung von Gewalt ist es, den Gegner oder Straftäter vorübergehend oder dauerhaft kampfunfähig zu machen. Viele der aktuellen Projekte auf diesem Sektor sind eher als Experimente für die Zukunft zu verstehen, da sie technisch oder finanziell nicht umsetzbar sind. Dennoch gibt es bereits auch schon viele funktionsfähige nicht-tödliche Waffensysteme. Die teilweise erreichte Effektivität bei vergleichsweise geringen Kosten für Anschaffung und/oder Betrieb führt in der Folge zu einer überraschend hohen Effizienz des Waffensystems. Ein wesentlicher Grund für die entsprechenden Entwicklungen liegt darin, dass zum Beispiel die Polizei beim Einsatz technischer Mittel den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss. Damit muss sie den Umständen angepasst reagieren können. Zwischen Gewalt ohne Benutzung von Waffen und dem Einsatz der Schusswaffe gibt es bisher nur wenig Alternativen, wie zum Beispiel den Schlagstock oder das Reizstoffsprühgerät.
Anwendung
Nicht-tödliche Waffen sollen grundsätzlich überall dort eingesetzt werden, wo auch tödliche Waffen eingesetzt werden, also sowohl militärisch im Kriegseinsatz oder auf Friedensmissionen als auch durch Polizeikräfte. Die Entwickler entsprechender Waffen beschreiben als Anwendungsgebiete unter anderem Geiselbefreiungen, Aufstände, Demonstrationen und Gefängnisaufstände.
Die Haupteinsatzgebiete von heutigen nicht-tödlichen Waffen sind die Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus sowie der Einsatz durch Schutztruppen (UN-Friedenstruppen, ISAF), um Kampfhandlungen oder Ausschreitungen gegen die Staatsgewalt einzufrieren und das Risiko für die Bevölkerung gering zu halten.
So werden bereits heute Elektroschockpistolen von europäischen und US-amerikanischen Polizeieinheiten genutzt, ebenso das bei Demonstrationen eingesetzte Reizgas. Durch immer weiter fortschreitende Entwicklung geht der Trend außerdem zur offensiven Nutzung beim Militär in aktiven Kampfhandlungen.
Prinzipielles technisches Problem
Eine nicht-tödliche Waffe soll zwar keinen dauerhaften Schaden anrichten, aber dennoch eine Person schnell, wirkungsvoll und im besten Fall auf Distanz kampfunfähig machen. Das Problem ist dabei hauptsächlich die richtige Dosis. Das kann man sich am besten an dem Beispiel eines Faust- oder Knüppelschlages verdeutlichen:
Ein Schlag gegen den Brustkorb, der einen normalen männlichen Erwachsenen kampfunfähig macht, kann bei einer normalen Frau schon zu Knochenbrüchen führen und einen sehr alten Menschen oder ein Kind töten. Ein trainierter Kampfsportler wird dagegen von einem solchen Schlag nicht zwangsläufig kampfunfähig gemacht.
Es sind also differenzierte Kenntnisse der Konstitution des Gegenübers erforderlich, um die Dosis zu wählen.
Übersicht verschiedener Waffenarten
Repellentien
Repellentien oder Repulsivstoffe sind wohl die unterste Eskalationsstufe der nicht tödlichen Waffen. Sie verbreiten einen für Menschen sehr unangenehmen Gestank und werden verwendet, um Örtlichkeiten gegen das Betreten oder den Aufenthalt von Menschen zu sperren. Die Stoffe sind meist über mehrere Wochen sesshaft. Bekannte Vertreter dieser Gruppe sind die synthetisch hergestellten Wirkstoffe des Analdrüsensekrets der Skunks ((E)-2-Butenylmercaptan, 3-Methylbutanthiol). Teilweise werden Zubereitungen eingesetzt, die ursprünglich als Repellentien gegen Hunde oder Katzen gedacht waren, zum Beispiel das in Neuseeland entwickelte Skunk Shot.
Reizstoffe
Chemische Reizstoffe werden verwendet, um Menschenansammlungen zu zerstreuen oder Personen aus Gebäuden oder Verstecken zu treiben. Reizstoffe können die Sicht behindern und Schmerzen zufügen. Bei Einsatz von Aerosolen setzt sich der Benutzer der Gefahr aus, selbst vom Aerosol getroffen zu werden. Deshalb verwenden staatliche Einsatzkräfte häufig Tropfenstrahlwaffen statt Spraywaffen.
- Tränengas, die volkstümliche Bezeichnung für die Gruppe der Augen-Rachen-Reizstoffe wie Chloracetophenon (CN), 2-Chlorbenzyliden-malonsäuredinitril (CS) oder Dibenzoxazepin (CR)
- Pfefferspray, auch als Geschoss (Pepperball) und Pulver von Capsaicinoiden („OC“)
Wasserwerfer
Wasserwerfer sind Fahrzeuge, die unter Hochdruck stehendes Wasser gezielt verspritzen können. Ihre Reichweite beträgt bei einem Druck von 15 bar über 60 Meter. Der Wasserstrahl spült Hindernisse regelrecht fort und kann bei Menschen mitunter schwerwiegende Verletzungen verursachen. Es können dem Wasser Reizstoffe zugesetzt werden.
Narkosestoffe
Mit Narkosestoffen sollen Angreifer betäubt und somit außer Gefecht gesetzt werden. Bekannt ist der Einsatz von Fentanylderivaten. Im Jahre 2002 zeigte sich während der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater die Wirkung einer Fehldosierung, als mindestens 129 Geiseln und 41 Geiselnehmer starben. Ob es sich tatsächlich um eine Fehldosierung handelte, ist umstritten, da nachweislich eine falsche Lagerung der Personen zum Ersticken führte. Bislang wurde die genaue Zusammensetzung des eingesetzten Narkosestoffes nicht veröffentlicht. Von den 850 Geiseln konnten 721 gerettet werden.
Materialzerstörung
Mikroorganismen
Mikroorganismen könnten zum Beispiel dazu genutzt werden, radarabweisende und tarnende Lackierungen auf Fahrzeugen zu zerstören.
Acetylen-Granaten
Der Wirkstoff Acetylen zerstört Dieselmotoren, wenn diese das Acetylen-Luftgemisch ansaugen.
Akustische Waffen
LRAD (Long Range Acoustic Device)
Bei einem LRAD handelt es sich um einen als Waffe einsetzbaren sehr starken Piezolautsprecher. Zum einen dient es zur zivilen oder militärischen Kommunikation über mittlere Distanzen, zum Beispiel zur Hilfeanforderung. Mit einer Maximallautstärke von 146 dB kann es aber auch als Schallwaffe dienen, die Menschen, die mit ungeschützten Ohren in den schmalen Abstrahlwinkel treten, vertreiben, ihnen aber auch irreparable Hörschäden zufügen kann. Abgesehen von der militärischen Verwendung wird LRAD heute vor allem auf Schiffen zur Abwehr von Piratenangriffen eingesetzt. Die Geräusche reichen ca. 500–1000 m weit.
Risiko aller akut wirksamen akustischen Waffen: Eine Überdosierung (zu hoher Schalldruckpegel, zu lange Einwirkzeit) führt zu dauerhaften irreparablen Schäden des Gehörs (Lärmschwerhörigkeit, Gehörlosigkeit).
Schockgranate
Im weiteren Sinn kann zu den akustischen Waffen auch die Schockgranate gezählt werden, wenn bei ihr auch die Blendungswirkung hinzu tritt. Die Wirkung von Infraschallwaffen konnte in keiner veröffentlichten Studie bestätigt werden.
Schockgranaten (auch Blendgranate, englisch stun grenades, auch flash-bangs genannt) sind Handgranaten, Gewehrgranaten oder mit großkalibrigen Flinten verschossene Munition, die durch einen Blitz-Knall-Satz (meist ein Gemisch aus Aluminium-Pulver und Kaliumperchlorat) der Zielperson vorübergehend durch Schreckreaktion, Blendung und Schwerhörigkeit (bis hin zum Knalltrauma) die Orientierung nehmen soll (Knallschreck).
Es gibt auch den Einsatz als Ablenkungsmittel. Hier besteht jedoch ein hohes Risiko, dass Brände ausgelöst werden. So müssen von den Einsatzkräften immer Feuerlöscher mitgeführt werden.
Schockgranaten werden vor allem bei der Lösung von Szenarien verwendet, bei denen Personen während eines Zugriffs mit Schusswaffen bedroht werden können. Durch die Zündung der Granate soll die Aufmerksamkeit der zu ergreifenden Person kurzzeitig abgelenkt, und seine Orientierung vorübergehend eingeschränkt werden, um Polizeibeamte und Geiseln nicht mehr als nötig zu gefährden. Auch der vorauszusehende Fluchtweg einer Person kann mit solchen Blitz-Knall-Sätzen vermint sein.
Typische Gefahren: Detoniert solch eine Granate neben dem Kopf-Hals-Bereich einer am Boden liegenden Person, kann es zu schweren Verletzungen kommen. In mehreren Fällen sind auch eine lebenslange Hörschädigung oder Taubheit dokumentiert. Ein Fall eines toten Demonstranten wird auf eine Schockgranate zurückgeführt.
Infraschall
Sehr tieffrequenter Schall dringt in die meisten Gebäude und Fahrzeuge ein. Die oft wiederholte Behauptung, mit Infraschall könnten Effekte wie Magenschmerzen, Durchfall oder Erbrechen erzeugt werden, ist aber haltlos.
Geschosse und Wurfstücke
Gummigeschosse
Sogenannte Gummigeschosse sollen starke Schmerzen zufügen, aber die Zielperson nicht schwer verletzen. Zu dieser Munition gehören: Rubber Rocket Projectile, ein flossenstabilisiertes Gummigeschoss, Stingball oder Hornet's Nest, Granaten und Flintenmunition, die ein Schrot aus Gummikugeln verschießt. Die Projektile enthalten teilweise Reizstoffe der CS- oder OC-Gruppe, oder werden zusammen mit diesen verschossen.
In Gebrauch sind auch modifizierte Claymore-Minen, die gerichtet Gummikugeln verschießen.
Neben diesen aus Hartgummi bestehenden Projektilen (engl. rubber bullet) existiert auch noch Stahlmunition, welche eine Gummibeschichtung haben (rubber coated bullet bzw. Gummimantelgeschoss).
Sandgeschosse
Die Sandgeschosse bestehen zum Teil aus gepresstem Sand und sollen ein geringeres Verletzungsrisiko als Gummigeschosse haben. Da es in der Vergangenheit wiederholt Todesfälle mit Gummigeschossen gegeben hat, könnten die Sandgeschosse als Alternative eingesetzt werden.
Bean Bag
Bean Bags (auch Power Punch) sind Geschosse, die in einem Beutel – meist aus Nylon – Schrot enthalten. Diese Geschosse sollen ihre Wucht an der Körperoberfläche auf das Ziel übertragen, jedoch nicht in den Körper eindringen. Eine Person soll umgerissen werden oder Schmerzen erleiden, jedoch keine schweren Verletzungen davontragen. Beanbags gibt es in den verschiedensten Kalibern, sie werden aber meistens aus Flinten verschossen.
Eine Variation ist die hydro-kinetische Munition. Hier ist der Beutel nicht mehr mit Schrot, sondern mit einer Flüssigkeit gefüllt. Diese Munition soll auch auf kürzere Distanzen nicht in den Körper eindringen.
Als Risiken für alle „nichttödliche“ kinetische Munition geben die Hersteller selbst an: Platzwunden, Verrenkungen, Abschürfungen, Rippenbrüche, Gehirnerschütterung bis hin zu schwerem Schädel-Hirn-Trauma, Augenverlust, Beschädigung von Organen unter der Hautoberfläche (allgemein), Riss von Herz, Nieren oder Leber, innere Blutungen und Tod.
Steinsalz
Es gibt Munition für Schrotgewehre, die statt Bleikugeln Steinsalz enthält. Die Salzkörner dringen zwar in die Haut und evtl. in tieferliegendes Gewebe ein; das Salz wird resorbiert, wodurch die Wunden in der Regel zwar sehr schmerzhaft, aber nicht tödlich sind. Zudem verheilen diese meist ohne Narbenbildung.
Elektroschockwaffen
- Hauptartikel: Elektroimpulswaffe
Elektroschockpistole
Elektroschockpistolen sind unter ihren Handelsnamen Taser oder dem ehemaligen Hersteller Stinger bekannt. Bei diesen Waffen werden zwei Nadeln verschossen, die im Idealfall in die Haut des Opfers eindringen. Durch zwei dünne Kabel, die mit der Waffe verbunden sind, wird nun eine Serie von Stromstößen abgegeben, die den Gegner kampfunfähig machen sollen. Die Reichweite liegt bei mehreren Metern.
Elektroschockprojektil
Das Elektroschockprojektil wird mit einer Handfeuerwaffe abgefeuert. Es soll nicht in den Körper der Zielperson eindringen, versetzt ihr jedoch einen kräftigen elektrischen Schlag. Ein Beispiel für ein solches Geschoss ist das in der Produktion eingestellte Wireless eXtended Range Electronic Projectile.
Shock Rounds sind Geschosse, die mit piezoelektrischem Material gefüllt sind. Sie vereinen die Risiken von Wuchtgeschossen und elektrischen Schockwaffen.
Elektroschocker / Stun Gun
Ein Elektroschocker (im US-Sprachgebrauch Stun Gun) hat zwei Elektroden mit hoher Leerlaufspannungen, wobei die durchschnittlich abgegebene Stromstärke gering ist.
Unter gewissen Rahmenbedingungen dürfen Elektroschocker in Österreich wie auch in Deutschland legal erworben werden.
Nicht-tödliche Strahlenwaffen
ADS (Active Denial System)
Das Active Denial System ist eine Anti-Personen-Mikrowellenwaffe. Bei höherer Strahlungsintensität und ausreichender Einwirkzeit sind Mikrowellenwaffen aufgrund der Hitzeeinwirkung auf der Haut potentiell tödlich.
Literatur
- Olaf Arndt: Demonen – Zur Mythologie der Inneren Sicherheit. Edition Nautilus, Hamburg 2005. ISBN 3-89401-468-7
- DoD Directive 3000.3: Policy for Non-Lethal Weapons. US-Verteidigungsministerium, 9. Juli 1996 – PDF, 6 S., 28 kB
- Hans Wolfram Kessler: Nichtletale Waffen im Kriegsvölkerrecht. Schriften zum Völkerrecht, Duncker & Humblot, Berlin 2013. ISBN 978-3-428-14117-3
Weblinks
- Nonlethal Weapons: Terms and References (USAF Institute for National Security Studies)
- The Sunshine Project
- Nebelwerfer, Pfefferspray, Elektroschock-Pistolen (Deutschlandfunk vom 18. November 2003)
- An Appraisal of the Technologies of Political Control: Bericht der Omega Foundation für das Europäische Parlament (1998, enthält ein Kapitel über NLW)
- Sanfte Waffen für harte Zeiten (BdWi vom 15. Februar 2008)